Meine aktuellen Überlegungen zum Thema "erwachsen werden" und Resignation. Ein fiktiver Brief an J., der sich jedoch nicht an ihn richtet, sondern den Menschen, die mir jetzt nahe stehen, erklären soll, was in mir vorgeht.
Samstag, 16. April 2016
Freitag, 13. November 2015
Rassismus und Polizeigewalt
[CN: Rassismus und Gewalt werden in diesem Post beschrieben]
Ich als weiße* Person bin nicht von Rassismus betroffen. Demzufolge bin ich dem Thema gegenüber ziemlich naiv und umso schockierter, wenn ich seine krassen Ausprägungen im Alltag erlebe (die weniger krassen - aber deshalb nicht minder destruktiven - Ausprägungen erlebe ich ja nicht bewusst, da nur Ally und nicht Betroffene*r).
Samstag vor 2 Wochen war ich mit einem Freund abends in der Stadt. Weggehen, in einem Club tanzen. Wir sind dann irgendwann - es war so gegen 3 Uhr nachts - mal wieder zum rauchen auf die Straße vor den Club. Dort sehen wir ein großes Polizeiaufgebot und wie ein Cop[1] einen Menschen mit einem Knie und beiden Händen zu Boden drückt. Der Mensch blutet aus Nase und Oberlippe und hat einen frischen Bluterguss im Berich des Jochbeins. Wir gehen also hin, um dem Menschen bei Bedarf zur Seite zu stehen.
Es folgen 1,5 Stunden der Diskussion mit der Polizei. Ich schaffe es nicht, das ganze strukturiert chronologisch zu erzählen. Deshalb einzelne Stichpunkte.
Ich als weiße* Person bin nicht von Rassismus betroffen. Demzufolge bin ich dem Thema gegenüber ziemlich naiv und umso schockierter, wenn ich seine krassen Ausprägungen im Alltag erlebe (die weniger krassen - aber deshalb nicht minder destruktiven - Ausprägungen erlebe ich ja nicht bewusst, da nur Ally und nicht Betroffene*r).
Samstag vor 2 Wochen war ich mit einem Freund abends in der Stadt. Weggehen, in einem Club tanzen. Wir sind dann irgendwann - es war so gegen 3 Uhr nachts - mal wieder zum rauchen auf die Straße vor den Club. Dort sehen wir ein großes Polizeiaufgebot und wie ein Cop[1] einen Menschen mit einem Knie und beiden Händen zu Boden drückt. Der Mensch blutet aus Nase und Oberlippe und hat einen frischen Bluterguss im Berich des Jochbeins. Wir gehen also hin, um dem Menschen bei Bedarf zur Seite zu stehen.
Es folgen 1,5 Stunden der Diskussion mit der Polizei. Ich schaffe es nicht, das ganze strukturiert chronologisch zu erzählen. Deshalb einzelne Stichpunkte.
- Der Grund für die Festnahme war: es gab ca. 30 Minuten zuvor eine Schlägerei. Beteiligt waren 5 "Deutsche" und "so ungefähr 10 Araber/Syrer/Türken, irgendsowas halt" [Originalaussage eines Cops]. Der Betroffene passte, weil er optisch nicht dem rassistischen Bild des "Durchschnitssdeutschen" entsprochen hat, ins Verdächtigenschema.
- Deshalb wurde er, als er mit einem Kumpel in die Straße gebogen kam, von der Polizei angebrüllt und mehrere Cops kamen auf ihn zugerannt. Er bekam Angst, verstand nicht was von sich geht und wollte deshalb wegrennen, was Grund war, dass ihn die Cops einholten, einer ihm ins Gesicht schlug und ihn dann zu Boden drückte [Schilderung anhand der Erzählung des Betroffenen]
- Weil er dann als "fluchtgefährdet" galt, war dies Anlass für die Polizei ihn, der zu dem Zeitpunkt als Oberkörper-Bekleidung nur ein Muskelshirt anhatte, nachts bei circa 7° C über den Verlauf von etwa einer halben Stunde auf den Boden zu drücken
- Obwohl er mehrfach auf Englisch sagte, dass er kein Deutsch spricht und nur sehr wenig Englisch beherrscht und bat, mit ihm auf Französisch zu kommunizieren, brüllten ihn die Cops abwechselnd auf Deutsch und Englisch an und werteten in den Aussagen untereinander das Ausbleiben einer Antwort von ihm als mangelnde Kooperation
- Die Tatsache, dass der Betroffene das Blut, das aus seiner aufgeplatzten Oberlippe kam, auf den Boden spuckte, wurde von einem Cop als Aggression und Respektlosigkeit gewertet und daraufhin weitere Gewalt angedroht (den sehr wütenden und bedrohlichen wie auch respektlosen O-Ton des Cops kriege ich nicht mehr zusammen)
- Es hatte sich recht rasch geklärt, dass der Festgenommene gar nicht in der Schlägerei verwickelt hätte sein können, weil er aus einer Kneipe in einer ganz anderen Ecke der Innenstadt gekommen war. Dennoch bedurfte es gut einer Stunde der Diskussion mit den Cops, dass er nicht dennoch mit aufs Revier genommen wurde.
- Seine Personalien wurden festgestellt, Grund dafür war "Widersetzung der Festnahme".
- Ein Passant, der den Polizeieinsatz gefilmt hatte, bekam eine Anzeige wegen "Behinderung des Polizeieinsatzes"
- Wir, die während des ganzen Hin und Hers dem Betroffenen zur Seite standen (aka ihn stützten, ihm Taschentücher für sein blutendes Gesicht gaben, ihm versuchten die Cops etwas vom Leib zu halten und mit unserem Schulfranzösisch übersetzend zu vermitteln), wurden von ungefähr jedem Cop mal gefragt bzw uns wurde unterstellt, den Betroffenen persönlich zu kennen. Die Tatsache, dass wir aus Solidarität bei ihm sind und ihm helfen, schien ihnen sehr absurd vorzukommen
- Es waren in diesen anderthalb Stunden Cops in wechselnder Anzahl da. Zu irgendeinem Zeitpunkt hatte ich 20 (in Worten: "zwanzig") gezählt, die vor Ort waren. Wegen des initialen Verdachts in eine Schlägerei (ohne Waffeneinsatz, ohne Todesfolge usw.) verwickelt worden zu sein. Euer Ernst?
- Obwohl der Betroffene sichtbar im Gesicht verletzt war und über Schmerzen klagte, wurde meine Aufforderung einen Rettungswagen oder Notarzt zu rufen erst verweigert. Als dann ein Rettungsassistent oder Notarzt vor Ort war, schaute sich dieser den Betroffenen aus gut 5 Metern Entfernung an, fragte ihn irgendetwas Abstraktes (auf Deutsch) und als nach 10 Sekunden keine Antwort kam, ging er wieder weg und fuhr fort
Ich könnte noch zig solcher Details und Aspekte aufzählen, aber ich glaube, das hier reicht erstmal für einen Eindruck der Situation. Andere Detail zu schildern, kommt mir entweder redundant in der Aussagekraft vor oder aber betrifft Aspekte der Situation, die den Rahmen sprengen würden und über die ich nicht reden möchte (Stichwort: wie es dem Betroffenen nach dieser Situation psychisch ging [Hint: extrem schlecht], meine Sorgen um ihn diesbezüglich [Hint: sehr vorhanden, ausgeprägt und IMHO berechtigt] und die Schwierigkeiten des Umgangs damit).
Aber ja.
Sachsen, Deutschland, 2015.
Was für ein rassistisches Stück Scheiße.
-------------------------------------------
[1]: Ich bediene mich in diesem Text gezielt durchgehend des Begriffs "Cop". Ich wollte in meiner Wortwahl möglichst neutral bleiben, aber das formal-höfliche "Polizeibeamte*r" ging mir in dem Kontext echt nicht über die Lippen (bzw. von den Fingerspitzen).
Montag, 19. Oktober 2015
Schuld - und Sühne?
Am 17.10. hatte ich die tolle Gelegenheit, mir das aktuellst Stück der Performance Gruppe-RAMPIG anzusehen. Sie haben sich mal wieder selbst übertroffen. Mit "Schuld (und Sühne)" haben sie eine intensive und atemraubende Produktion entwickelt. Eine Performance, die nur von eleganten, geschickten, witzigen, verstörenden, subtilen Querverweisen auf "Schuld und Sühne" (bzw. "Verbrechen und Strafe") von Dostojewski - aber auch auf andere Werke von Dostojewski, sowie vieles andere aus der russischen und sowjetischen (Pop-)Kultur - wimmelt.
Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, dazu etwas zu schreiben. Und, wie schon zu Permafrost, gibt es wieder zwei Rezensionen. Eine - eher im journalistisch-publizistischen Stil (die ihr hier findet), eine - eher als persönlicher, pseudoliterarischer Antworttext (kommt noch).
Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, dazu etwas zu schreiben. Und, wie schon zu Permafrost, gibt es wieder zwei Rezensionen. Eine - eher im journalistisch-publizistischen Stil (die ihr hier findet), eine - eher als persönlicher, pseudoliterarischer Antworttext (kommt noch).
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Mein Henker und ich - jenseits von Illusionen
Die Performance
findet auf dem verlassenen Kasernengelände des
Benjamin-Franklin-Village statt, in einer Geisterstadt am Waldrand.
Wir versammeln uns am Tor – 8 Menschen, von denen sich die meisten
untereinander nicht kennen. Eine Schicksalsgemeinschaft irgendwie.
Ein kleiner Bus holt uns ab. Der Fahrer spricht nicht mit uns,
antwortet auf Fragen nur in knappen Sätzen auf Russisch. Es dröhnt
unangenehm laut schlechter russischer Techno. Party-Stimmung will
allerdings nicht einsetzen. Zu unbehaglich ist es auf dieser Fahrt
ins Ungewisse. Die Videoaufnahmen von Wald und Natur, die auf einem
Bildschirm im Bus laufen, wirken auch nicht Ruhe stiftend, sondern
bedrohlich. Ein Käfer zappelt hilflos auf dem Rücken. Ein Schuh
zerquetscht einen Frosch und der Rückwärtsgang des Videos versucht
vergebens es wieder ungeschehen zu machen. Wir kommen an. Eine
verstört und zerzaust aussehende Frau rennt neben dem Bus her,
schreit, haut gegen die Scheiben. Sie ist es auch dann, die kurze
Zeit später die einleitenden Worte zur anstehenden Reise ins
Gebäudeinnere an uns richtet. Wie eine Begrüßung fühlt es sich
nicht an. Der Ratschlag, der sich für mich am meisten bewährt hat,
war: „Lasse alle Illusionen zurück.“ Wer sich an Illusionen
klammernd in den ehemaligen Supermarkt begibt, den die RAMPIGs für
diese Performance bezogen hatten, wird nur noch mehr verletzt werden,
wenn sie dann mit großer Wucht zerschlagen werden und
unwiederbringlich zerbersten. Wie durch eine Axt.
Drinnen wandern wir als kleine Zuschauer*innen-Gruppe von Raum zu Raum, immer wieder gelockt (oder vielleicht auch verlockt?) von den Performer*innen. Dunkel sind die Gänge, mit vielen verwinkelten Nebenfluren, die schiere Anzahl der Türen verdeutlicht, wie leicht es ist, sich hier zu verirren. Ohne die Performer*innen, die uns immer wieder die Richtung weisen, wären wir hier wohl verloren. Rasch setzt sich ihnen gegenüber ein Gefühl der Abhängigkeit ein, des Ausgeliefert-Seins. Teilweise auch eins der Angst. Zum Beispiel wenn ein Mann mit Wahnsinn im Blick von einem Ritual erzählt, bei dem sich Männer mit Messern in Trance tanzen, bis einer sich als Opfer erweist und kollektiv ermordet wird. Seine Stimme wechselt – völlig unberechenbar – zwischen aufgebrauchtem Blutrausch und schüchtern-verharmlosenden Ausführungen. Dabei lässt er auf dem Tisch ein Messer kreisen, zeigt abwechselnd auf uns, ist auf der Suche nach dem Opfer in unserer Gruppe. Teilweise auch ein Gefühl des Mitleids. Zum Beispiel wenn ein zierliches Mädchen vor unseren Augen zitternd mit weit aufgerissenen Augen zusammenkauert, immer wieder angespannt hysterisch kichernd. Uns dann mit kindlicher Verzweiflung ein großes Einmachglas mit toten Mäusebabys entgegenstreckt und dann ganz in sich vertieft es streichelt.
Alle Räume sind mit Schuld erfüllt. Es ist schwer zu sagen, ob sie in der Luft hängt wie gelber Nebel oder an der Haut aller, die sich hier bewegen, klebt wie Spinnweben. In jedem Raum offenbart sich ein neues Gesicht der Schuld. Wahnsinn, der Menschen von innen aushöhlt. Unterwerfung bis zur Selbstverleugnung, bis man statt eines Menschen eine schlaffe Stoffpuppe mit leeren Augen vor sich sieht. Gewalt, ohne erkennbaren Grund. Mord. Körperlichkeit und Sexualität, denen jegliche Sinnlichkeit fehlt, sondern nur eine abstoßende Krudheit anhaftet. Verwesung, die nichts verschont. Verrat und Enttäuschung – der Familie, der eigenen Prinzipien. Einsamkeit.
Und noch zermürbender und bedrückender als die Schuld selbst, sind die verzweifelten Bemühungen, sie zu tilgen, die rastlose Jagd nach Vergebung. Sie sind alle vergeblich. Strafe gibt es zu genüge an diesem Ort. Sühne nicht. Denn wie will man sich denn vom Blut reinwaschen, wenn das Wasser schon tiefrot ist? Wie zur Erkenntnis gelangen, wenn die Äpfel zu Evas Füßen alle längst verdorben sind? Die Schuld lässt sich auch nicht leugnen. Egal wie angestrengt die junge Frau ein Kinderlied von Liebe und happy family singt, es entgleist zu einem verzweifelten Kreischen und der einsamen Gefangenschaft in einem leeren, fensterlosen Raum. Immer und immer wieder versuchen die Performer*innen sich selbst zu Auserwählten zu küren. Auserwählten, denen es zusteht, Richter und Henker zu sein. Doch dann scheitern sie an dieser Aufgabe. Zögern zu lange, erstarren immer wieder in hilflos-verzweifelter Regungslosigkeit. Versuchen fortzurennen, kriegen aber die Füße nicht vom Boden. Und werden unausweichlich von der Schuld eingeholt. Der Versuch, die Unterdrücker anzuspucken, scheitert immer wieder. Nach oben lässt sich eben schlecht spucken.
Viele, viele Räume. Unzählige Facetten der Schuld – verwinkelt und düster und verschachtelt wie der Raum selbst. Was sich jedoch nach einem Gang durch ein Museum oder Gruselkabinett anhört, erweist sich für uns Zuschauer*innen viel eher als Herausforderung, sich den Weg durch das Labyrinth zu bahnen, ohne sich dabei zu verlieren. Ein Labyrinth, das aller Bizarrheit zum Trotz bedrückend realitätsnah ist. Zuschauer*innen ist da auch bei näherer Betrachtung das falsche Wort. Wir schauen nicht nur zu, wir sind Teil der Szenen, die sich hier entfalten. Und werden dadurch zu Mittäter*innen, laden die Schuld des tatenlosen Zusehens, des Nicht-Eingreifens auf uns. Die Versuchung ist manchmal groß, zu trösten, vor Gewalt zu beschützen. Aber zu groß ist die Unsicherheit, die Unterwerfung gegenüber der Maschinerie dieses Mikrouniversums. Und haben wir zu Beginn nicht alle einen Bissen von der Henkersmahlzeit eines Serienmörders gegessen und uns damit einen Teil seiner Schuld wortwörtlich einverleibt? Nein, auch vor dieser Erkenntnis gibt es kein Entrinnen: schuldig sind wir alle. Das böse Prinzip tragen wir alle in uns.
Das Labyrinth entpuppt sich als das Ablaufen eines Lebenslaufs. Rückwärts, von Ende bis Anfang. Von der Hinrichtung – wohl die einzige Methode, die Schuld enden zu lassen – bis zur Geburt erforschen wir ein Leben, auf der Suche nach dem Punkt, an dem die Schuld begonnen hat. Wir finden ihn nicht. Die Schuld erstreckt sich durch das gesamte Leben. Sie fängt damit an, dass wir uns nicht an der Nabelschnur entlang zurück in den Mutterschoß gehangelt haben. Diese Chance verpasst habend, sind wir nun in dieser unwirtlichen Welt, ausgeliefert und einsam. Einsamkeit durchzieht hier alles. Es gibt keinerlei positive Interaktionen zwischen den Performer*innen. In der Schuld und im Schmerz ist sich jede*r selbst am nächsten. Andere Menschen und das Umfeld sind stets bei dem beteiligt, was eine*n zum Verbrechen getrieben hat. Mit der Schuld bleibt man jedoch alleine. Und so kommt es auch, dass man in den vorgetragenen Texten immer wieder Henkern begegnet, Hinrichtungen allgegenwärtig sind, man aber seinen eigenen Henker nie sieht. Außer beim Blick in den Spiegel. Ist nicht der am schwersten zu ertragende Anblick, der ins eigene Gesicht, die eigentliche Hinrichtung?
Das Verlassen des Labyrinths fühlt sich befreien an. Aber die nagende Leere und die drückende Schuld lassen sich nicht abstreifen. Es tat gut noch eine Weile in der Bar mit anderen Zuschauer*innen und Menschen vom Ensemble zu reden. Dem einsamen Rückweg durch das kalt-herbstliche, dunkle Gelände der toten Kaserne fühlte ich mich vorerst nicht gewachsen. Zu sehr spiegelte die Umgebung meine Gefühle von der Performance wider.
Drinnen wandern wir als kleine Zuschauer*innen-Gruppe von Raum zu Raum, immer wieder gelockt (oder vielleicht auch verlockt?) von den Performer*innen. Dunkel sind die Gänge, mit vielen verwinkelten Nebenfluren, die schiere Anzahl der Türen verdeutlicht, wie leicht es ist, sich hier zu verirren. Ohne die Performer*innen, die uns immer wieder die Richtung weisen, wären wir hier wohl verloren. Rasch setzt sich ihnen gegenüber ein Gefühl der Abhängigkeit ein, des Ausgeliefert-Seins. Teilweise auch eins der Angst. Zum Beispiel wenn ein Mann mit Wahnsinn im Blick von einem Ritual erzählt, bei dem sich Männer mit Messern in Trance tanzen, bis einer sich als Opfer erweist und kollektiv ermordet wird. Seine Stimme wechselt – völlig unberechenbar – zwischen aufgebrauchtem Blutrausch und schüchtern-verharmlosenden Ausführungen. Dabei lässt er auf dem Tisch ein Messer kreisen, zeigt abwechselnd auf uns, ist auf der Suche nach dem Opfer in unserer Gruppe. Teilweise auch ein Gefühl des Mitleids. Zum Beispiel wenn ein zierliches Mädchen vor unseren Augen zitternd mit weit aufgerissenen Augen zusammenkauert, immer wieder angespannt hysterisch kichernd. Uns dann mit kindlicher Verzweiflung ein großes Einmachglas mit toten Mäusebabys entgegenstreckt und dann ganz in sich vertieft es streichelt.
Alle Räume sind mit Schuld erfüllt. Es ist schwer zu sagen, ob sie in der Luft hängt wie gelber Nebel oder an der Haut aller, die sich hier bewegen, klebt wie Spinnweben. In jedem Raum offenbart sich ein neues Gesicht der Schuld. Wahnsinn, der Menschen von innen aushöhlt. Unterwerfung bis zur Selbstverleugnung, bis man statt eines Menschen eine schlaffe Stoffpuppe mit leeren Augen vor sich sieht. Gewalt, ohne erkennbaren Grund. Mord. Körperlichkeit und Sexualität, denen jegliche Sinnlichkeit fehlt, sondern nur eine abstoßende Krudheit anhaftet. Verwesung, die nichts verschont. Verrat und Enttäuschung – der Familie, der eigenen Prinzipien. Einsamkeit.
Und noch zermürbender und bedrückender als die Schuld selbst, sind die verzweifelten Bemühungen, sie zu tilgen, die rastlose Jagd nach Vergebung. Sie sind alle vergeblich. Strafe gibt es zu genüge an diesem Ort. Sühne nicht. Denn wie will man sich denn vom Blut reinwaschen, wenn das Wasser schon tiefrot ist? Wie zur Erkenntnis gelangen, wenn die Äpfel zu Evas Füßen alle längst verdorben sind? Die Schuld lässt sich auch nicht leugnen. Egal wie angestrengt die junge Frau ein Kinderlied von Liebe und happy family singt, es entgleist zu einem verzweifelten Kreischen und der einsamen Gefangenschaft in einem leeren, fensterlosen Raum. Immer und immer wieder versuchen die Performer*innen sich selbst zu Auserwählten zu küren. Auserwählten, denen es zusteht, Richter und Henker zu sein. Doch dann scheitern sie an dieser Aufgabe. Zögern zu lange, erstarren immer wieder in hilflos-verzweifelter Regungslosigkeit. Versuchen fortzurennen, kriegen aber die Füße nicht vom Boden. Und werden unausweichlich von der Schuld eingeholt. Der Versuch, die Unterdrücker anzuspucken, scheitert immer wieder. Nach oben lässt sich eben schlecht spucken.
Viele, viele Räume. Unzählige Facetten der Schuld – verwinkelt und düster und verschachtelt wie der Raum selbst. Was sich jedoch nach einem Gang durch ein Museum oder Gruselkabinett anhört, erweist sich für uns Zuschauer*innen viel eher als Herausforderung, sich den Weg durch das Labyrinth zu bahnen, ohne sich dabei zu verlieren. Ein Labyrinth, das aller Bizarrheit zum Trotz bedrückend realitätsnah ist. Zuschauer*innen ist da auch bei näherer Betrachtung das falsche Wort. Wir schauen nicht nur zu, wir sind Teil der Szenen, die sich hier entfalten. Und werden dadurch zu Mittäter*innen, laden die Schuld des tatenlosen Zusehens, des Nicht-Eingreifens auf uns. Die Versuchung ist manchmal groß, zu trösten, vor Gewalt zu beschützen. Aber zu groß ist die Unsicherheit, die Unterwerfung gegenüber der Maschinerie dieses Mikrouniversums. Und haben wir zu Beginn nicht alle einen Bissen von der Henkersmahlzeit eines Serienmörders gegessen und uns damit einen Teil seiner Schuld wortwörtlich einverleibt? Nein, auch vor dieser Erkenntnis gibt es kein Entrinnen: schuldig sind wir alle. Das böse Prinzip tragen wir alle in uns.
Das Labyrinth entpuppt sich als das Ablaufen eines Lebenslaufs. Rückwärts, von Ende bis Anfang. Von der Hinrichtung – wohl die einzige Methode, die Schuld enden zu lassen – bis zur Geburt erforschen wir ein Leben, auf der Suche nach dem Punkt, an dem die Schuld begonnen hat. Wir finden ihn nicht. Die Schuld erstreckt sich durch das gesamte Leben. Sie fängt damit an, dass wir uns nicht an der Nabelschnur entlang zurück in den Mutterschoß gehangelt haben. Diese Chance verpasst habend, sind wir nun in dieser unwirtlichen Welt, ausgeliefert und einsam. Einsamkeit durchzieht hier alles. Es gibt keinerlei positive Interaktionen zwischen den Performer*innen. In der Schuld und im Schmerz ist sich jede*r selbst am nächsten. Andere Menschen und das Umfeld sind stets bei dem beteiligt, was eine*n zum Verbrechen getrieben hat. Mit der Schuld bleibt man jedoch alleine. Und so kommt es auch, dass man in den vorgetragenen Texten immer wieder Henkern begegnet, Hinrichtungen allgegenwärtig sind, man aber seinen eigenen Henker nie sieht. Außer beim Blick in den Spiegel. Ist nicht der am schwersten zu ertragende Anblick, der ins eigene Gesicht, die eigentliche Hinrichtung?
Das Verlassen des Labyrinths fühlt sich befreien an. Aber die nagende Leere und die drückende Schuld lassen sich nicht abstreifen. Es tat gut noch eine Weile in der Bar mit anderen Zuschauer*innen und Menschen vom Ensemble zu reden. Dem einsamen Rückweg durch das kalt-herbstliche, dunkle Gelände der toten Kaserne fühlte ich mich vorerst nicht gewachsen. Zu sehr spiegelte die Umgebung meine Gefühle von der Performance wider.
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Mittwoch, 9. Juli 2014
Grau
Regenschleier.
Ein schönes Wort und schönes Wetter (es sei denn, man muss längere Strecken Rad fahren o.Ä.).
Wetter zum zuhause zusammenrollen, lesen, Musik hören, Tee trinken (ja, ich nehme alle Klischees mit, aber da ich dies auch kommentiere, kann ich mich selbst wiederum ironisch davon distanzieren).
Nur doof, dass Schleier auch immer zum Verklären des Dahinterliegenden veführen. Dass es bei Regen so viel leichter fällt, sich die Welt hinter den Fensterscheiben schön zu träumen.
Und im Schön-Träumen bin ich leider sehr gut.
Ein schönes Wort und schönes Wetter (es sei denn, man muss längere Strecken Rad fahren o.Ä.).
Wetter zum zuhause zusammenrollen, lesen, Musik hören, Tee trinken (ja, ich nehme alle Klischees mit, aber da ich dies auch kommentiere, kann ich mich selbst wiederum ironisch davon distanzieren).
Nur doof, dass Schleier auch immer zum Verklären des Dahinterliegenden veführen. Dass es bei Regen so viel leichter fällt, sich die Welt hinter den Fensterscheiben schön zu träumen.
Und im Schön-Träumen bin ich leider sehr gut.
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Professionelle Distanz
Ich mag es, Patient*innen zu haben. Ich mag es umso mehr, sympathische Patient*innen zu haben. Und noch mehr, sympathische und intelligente (und oftmals gesitig frühreife) Patient*innen zu haben.
Wo es kippt, ist wenn ich Patient*innn behandeln soll, bei deren Problemen ich eigentlich nur trauig den Kopf schütteln und "Hast recht. Die Welt ist scheiße, ein Großteil der Menschen sind inolerant und oberflächlich und langweilig und dennoch ist man selbst genauso ein Mensch mit denselben Macken und nicht so hochgeistig, wie man es gerne wäre, und verspürt das Bedürfnis nach Gemeinschaft und einfach nur Anerkennung. Du hast es erfasst, viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen, man muss mit dieser Kränkung des eigenen Ego leben, die Zähne zusammenbeißen und fleißig weiterstapfen."
Das mag ich weniger. Das stürzt in Sinnkrisen.
Wo es kippt, ist wenn ich Patient*innn behandeln soll, bei deren Problemen ich eigentlich nur trauig den Kopf schütteln und "Hast recht. Die Welt ist scheiße, ein Großteil der Menschen sind inolerant und oberflächlich und langweilig und dennoch ist man selbst genauso ein Mensch mit denselben Macken und nicht so hochgeistig, wie man es gerne wäre, und verspürt das Bedürfnis nach Gemeinschaft und einfach nur Anerkennung. Du hast es erfasst, viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen, man muss mit dieser Kränkung des eigenen Ego leben, die Zähne zusammenbeißen und fleißig weiterstapfen."
Das mag ich weniger. Das stürzt in Sinnkrisen.
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Mittwoch, 9. April 2014
Dann mal... Pseudoliterarische Gehversuche
Es fing an mit einer Idee an, die ich eigentlich auch in einen einzelnen Satz hätte packen können.
"Ich gehe gerade vor die Hunde; würden jetzt nicht selbst die Hunde vor mir weglaufen."
Und daraus wurde ein Text:
"Ich gehe gerade vor die Hunde; würden jetzt nicht selbst die Hunde vor mir weglaufen."
Und daraus wurde ein Text:
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