Freitag, 13. November 2015

Rassismus und Polizeigewalt

[CN: Rassismus und Gewalt werden in diesem Post beschrieben]

Ich als weiße* Person bin nicht von Rassismus betroffen. Demzufolge bin ich dem Thema gegenüber ziemlich naiv und umso schockierter, wenn ich seine krassen Ausprägungen im Alltag erlebe (die weniger krassen - aber deshalb nicht minder destruktiven - Ausprägungen erlebe ich ja nicht bewusst, da nur Ally und nicht Betroffene*r).

Samstag vor 2 Wochen war ich mit einem Freund abends in der Stadt. Weggehen, in einem Club tanzen. Wir sind dann irgendwann - es war so gegen 3 Uhr nachts - mal wieder zum rauchen auf die Straße vor den Club. Dort sehen wir ein großes Polizeiaufgebot und wie ein Cop[1] einen Menschen mit einem Knie und beiden Händen zu Boden drückt. Der Mensch blutet aus Nase und Oberlippe und hat einen frischen Bluterguss im Berich des Jochbeins. Wir gehen also hin, um dem Menschen bei Bedarf zur Seite zu stehen.

Es folgen 1,5 Stunden der Diskussion mit der Polizei. Ich schaffe es nicht, das ganze strukturiert chronologisch zu erzählen. Deshalb einzelne Stichpunkte.


  • Der Grund für die Festnahme war: es gab ca. 30 Minuten zuvor eine Schlägerei. Beteiligt waren 5 "Deutsche" und "so ungefähr 10 Araber/Syrer/Türken, irgendsowas halt" [Originalaussage eines Cops]. Der Betroffene passte, weil er optisch nicht dem rassistischen Bild des "Durchschnitssdeutschen" entsprochen hat, ins Verdächtigenschema. 
  • Deshalb wurde er, als er mit einem Kumpel in die Straße gebogen kam, von der Polizei angebrüllt und mehrere Cops kamen auf ihn zugerannt. Er bekam Angst, verstand nicht was von sich geht und wollte deshalb wegrennen, was Grund war, dass ihn die Cops einholten, einer ihm ins Gesicht schlug und ihn dann zu Boden drückte [Schilderung anhand der Erzählung des Betroffenen]
  • Weil er dann als "fluchtgefährdet" galt, war dies Anlass für die Polizei ihn, der zu dem Zeitpunkt als Oberkörper-Bekleidung nur ein Muskelshirt anhatte, nachts bei circa 7° C über den Verlauf von etwa einer halben Stunde auf den Boden zu drücken
  • Obwohl er mehrfach auf Englisch sagte, dass er kein Deutsch spricht und nur sehr wenig Englisch beherrscht und bat, mit ihm auf Französisch zu kommunizieren, brüllten ihn die Cops abwechselnd auf Deutsch und Englisch an und werteten in den Aussagen untereinander das Ausbleiben einer Antwort von ihm als mangelnde Kooperation
  • Die Tatsache, dass der Betroffene das Blut, das aus seiner aufgeplatzten Oberlippe kam, auf den Boden spuckte, wurde von einem Cop als Aggression und Respektlosigkeit gewertet und daraufhin weitere Gewalt angedroht (den sehr wütenden und bedrohlichen wie auch respektlosen O-Ton des Cops kriege ich nicht mehr zusammen)
  • Es hatte sich recht rasch geklärt, dass der Festgenommene gar nicht in der Schlägerei verwickelt hätte sein können, weil er aus einer Kneipe in einer ganz anderen Ecke der Innenstadt gekommen war. Dennoch bedurfte es gut einer Stunde der Diskussion mit den Cops, dass er nicht dennoch mit aufs Revier genommen wurde.
  • Seine Personalien wurden festgestellt, Grund dafür war "Widersetzung der Festnahme".
  • Ein Passant, der den Polizeieinsatz gefilmt hatte, bekam eine Anzeige wegen "Behinderung des Polizeieinsatzes"
  • Wir, die während des ganzen Hin und Hers dem Betroffenen zur Seite standen (aka ihn stützten, ihm Taschentücher für sein blutendes Gesicht gaben, ihm versuchten die Cops etwas vom Leib zu halten und mit unserem Schulfranzösisch übersetzend zu vermitteln), wurden von ungefähr jedem Cop mal gefragt bzw uns wurde unterstellt, den Betroffenen persönlich zu kennen. Die Tatsache, dass wir aus Solidarität bei ihm sind und ihm helfen, schien ihnen sehr absurd vorzukommen
  • Es waren in diesen anderthalb Stunden Cops in wechselnder Anzahl da. Zu irgendeinem Zeitpunkt hatte ich 20 (in Worten: "zwanzig") gezählt, die vor Ort waren. Wegen des initialen Verdachts in eine Schlägerei (ohne Waffeneinsatz, ohne Todesfolge usw.) verwickelt worden zu sein. Euer Ernst?
  • Obwohl der Betroffene sichtbar im Gesicht verletzt war und über Schmerzen klagte, wurde meine Aufforderung einen Rettungswagen oder Notarzt zu rufen erst verweigert. Als dann ein Rettungsassistent oder Notarzt vor Ort war, schaute sich dieser den Betroffenen aus gut 5 Metern Entfernung an, fragte ihn irgendetwas Abstraktes (auf Deutsch) und als nach 10 Sekunden keine Antwort kam, ging er wieder weg und fuhr fort
Ich könnte noch zig solcher Details und Aspekte aufzählen, aber ich glaube, das hier reicht erstmal für einen Eindruck der Situation. Andere Detail zu schildern, kommt mir entweder redundant in der Aussagekraft vor oder aber betrifft Aspekte der Situation, die den Rahmen sprengen würden und über die ich nicht reden möchte (Stichwort: wie es dem Betroffenen nach dieser Situation psychisch ging [Hint: extrem schlecht], meine Sorgen um ihn diesbezüglich [Hint: sehr vorhanden, ausgeprägt und IMHO berechtigt] und die Schwierigkeiten des Umgangs damit).
Aber ja.

Sachsen, Deutschland, 2015.
Was für ein rassistisches Stück Scheiße.

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[1]: Ich bediene mich in diesem Text gezielt durchgehend des Begriffs "Cop". Ich wollte in meiner Wortwahl möglichst neutral bleiben, aber das formal-höfliche "Polizeibeamte*r" ging mir in dem Kontext echt nicht über die Lippen (bzw. von den Fingerspitzen).

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