Die grüne Hölle, die vor meiner Tür
und unter dem Fenster die Luft in Beschlag genommen hat, stellt sich
scheinbar allen außer mir galant als “Frühling” vor. Die
totgeglaubten Baumskelette verlieren ihre kahle Schwermut und
bedecken sich mit einem leichtsinnigen Überwurf aus zarter, grüner
Spitze. Wie von einem stummen Fanfarenruf getrieben, versammeln sich
unsichtbare Kräfte zum Kampf gegen die Leere. Eine Schlacht in
Zeitlupe bricht aus. Wie die Pocken einer verspielten Seuche bedecken
weiße Blüten ganze Baumkronen, regnen in unbedachten Wasserfällen
leichter, weißer Schuppen wieder herab.
Im ungeübten, übermütigen
Sonnenlicht wirkt es tatsächlich wie die Erstaufführung eines
brandneuen Spektakels, doch folgen ihr auch die Neider, umhüllt in
dunkelgraue Wolkenmäntel. Wenn das Licht unter dem Himmelgrau
erstickt, scheint der Frühling doch in jedem irrsinnigen Spross
weiterzustrahlen, bis sich das unvermeidbare, dichte Nass darüber
entleert. Die duftende, die dumpfe, die betörende Feuchtigkeit
vermischt sich dann mit dem Atem von allem, was blüht und wächst,
zum Nebel einer starken Droge. So viel Leben pulsiert und stöhnt
überall, sich zu einer grünen Kakophonie vermischend. Viele leise
Stimmen verweben sich zu einem undurchdringbaren Klangteppich, der
von allen menschlichen Ohren ungehört bleibt.
Die Macht der Natur ist überwältigend.
Die Regeln der Kühle, der Stursinn der glatten, leeren Felder –
nichts bleibt, alles wird weggefegt von der langsamen, aber
unaufhaltsamen Flut des Wucherns. Man bleibt doch so allein und
verloren, ertrinkt in den Strömen aus allgegenwärtigem Leben. Das
Grün erstickt jede andere Regung und man spürt, um Luft oder um
Ruhe ringend, die Kraft, die in der schleichenden Expansion gebannt
liegt. So viel Grün, so viele süßlich-schwere Düfte, die doch
alle vom Neubeginn erzählen wollen und doch nicht den ihnen
anhaftenden Hauch von Verwesung abschütteln können.
Die Hoffnung, die jedem keimenden Blatt
zugrunde liegt, will alle vergessen lassen, was mit den gleichen
Blättern im letzten Herbst passiert ist. Zu stark ist der Rausch des
Vergessens, zu mächtig das Vorwärtsdrängen, als dass Gedanken an
die Zukunft dazwischen überleben könnten, geschweige denn Gehör
finden. Das Morgen gibt es nicht mehr, nach der langen Haft des
Winters wird nun jede Stunde zur Henkersmahlzeit, zu einer Orgie aus
letzten Wünschen. Es gibt nur noch die Gegenwart, das betörende
Hier und das zuckende Jetzt, jede Sekunde schmilzt, zieht Fäden,
verläuft und erstarrt dann zu bröcklig-spröden Stunden, die keiner
Erschütterung Stand halten können.
Das Crescendo, das im Klangbauch dieser
Tage heranwächst, versteckt sich genauso gut, wie die Wucht, mit der
die Veränderungen alles verformen. Man denkt nur bis zur
Kulmination, sieht nur das Leben, das als sanft vibrierender
Kristallpalast erstrahlt, nicht aber den Schatten des Todes, der
versteckt hinter der Bühne dieses Schauspiels ungeduldig auf und ab
schreitet und darauf wartet, nach dem Fall des Vorhangs
herauszukommen. Auch er hat den Winter im Verließ verbracht und hat
Hunger. Unter der Herrschaft des Eises gibt es nur das Nicht-Leben,
der Tod aber braucht den schwülen Brutkasten, der ihm seine
Untertanen heranzüchtet.
Es bleibt einem nichts, als die wunden
Lungen mit dem süßen Pestatem zu füllen und sich davon volltrunken
in den Taumel der Verzauberten zu werfen. Lasst uns den Gleichschritt
anstimmen in dieser schläfrigen Prozession, die Augen voller Ekstase
gen Himmel gerichtet, um den Abgrund, der uns zu Füßen liegt, nicht
doch noch zu sehen!