Freitag, 24. August 2012

Selbst-verständnis


Konzeptumzingelte Wesen,
mit Worten das Weite suchend,
eine Weite, an die die Erinnerung glüht,
ohne sie je gekannt zu haben.
In geistigen Gewächshäusern geboren,
auf Durchreise im Leben,
mit Hausschuhen durch die Welt ziehen:
mit Selbsttäuschung das Schicksal überreden
wollen, als könnte man doch ankommen.

Kontextualität atmend und
Langeweile essend, Verlangen verlangend,
die eigene Libido als letzter Trumpf
in einem überreizten Spiel.
Die ehrliche Konsumkritik im Kopf
nur mit Selbstironie zu ertragen,
da als Idee längst vom Sockel geglitten.
Zerfallsgeschwindigkeit von Idealen steigt exponentiell,
Ernsthaftigkeit verliert durch Inflation an sich selbst.
Begraben unter einem Tsunami
von Querverweisen und Parallelen,
Banalität überdauert Bedeutung.
Vor Posen fauchend zurückschrecken,
nur um in Anti-Posen zu erstarren.
Von “Sei natürlich”-Paradoxien paralysiert.
Der Wunsch nach Rückvereinfachung
symptomatisch für die Unfähigkeit dazu.
Verloren-verkopfte Surrealität.

Ehrliche Gefühle bleiben eine Utopie,
wenn man keinen Glauben hat, den
man ihnen schenken könnte,
so sehr man es möchte.
Emotion in Abwesenheit einer absoluten Wahrheit
kann einen noch so sehr verzehren,
transzendiert doch nie den Stempel der Illusion.
Alle Karten auf den Tisch geknallt
werden Fährten des falschen Verständnisses verlockender
und die Deckung bleibt so hoch wie nie.

Wir sind alle so meta.
Um wenigstens zu sein.

Montag, 20. August 2012

Verständnis

Mit etwas Distanz betrachtet, ist es schon erstaunlich, wie viel uns Menschen¹ daran liegt, von anderen Menschen verstanden zu werden.

Und damit meine ich nicht das rein inhaltliche Verständnis. Das ist natürlich auch wichtig. Schließlich will man ja nicht, dass wenn man dem Verkäufer im Obstladen sagt: "Ich hätte gerne anderthalb Kilo Bananen", man auf einmal 15 Kilo Äpfel bekommt. Und auch in komplexeren Zusammenhängen will man zuallererst einmal inhaltlich richtig verstanden werden. Beispielsweise wenn man sagt, dass man findet, dass klassische Dramen wenig Bezug zu unserer modernen Lebenswelt und unserem Erfahren dieser Welt haben, ist es doch frustrierend, wenn das Gegenüber da ein "Ich finde griechische Dramen scheiße" raushört.
Aber diese Form des Verständnisses meine ich nicht. Denn bei diesem wundert es mich wenig, dass man es anstrebt.

Was ich meine, ist das Verstehen bzw. Verstanden-Werden "wie man tickt". Das Nachvollziehen der Beweggründe, der Nuancen des Erlebens, der grundlegenden Einstellungen des Gegenübers. Ich würde in diesem Kontext auch die Gefühlswelt nennen, lasse diese aber außen vor, aus der Angst herau, diesbezüglich missverstanden zu werden (oh, köstliche Ironie!). Dieses Verständnis nennt sich dann auch gerne "auf einer Wellenlänge sein" oder - in extremer Ausprägung und in sehr pathetische und floskelhafte Sprache verpackt - "Seelenverwandschaft".
Und daran scheint uns extrem viel zu liegen. Die Frage ist - wieso? Was haben wir davon, von jemandem extrem tiefgründig verstanden zu werden? Könnte es uns nicht gänzlich egal sein, ob uns jemand Wellenlängen-technisch versteht oder nicht, solange die Kommunikation durch inhaltliches Verständnis klappt und die Person sich uns gegenüber nett verhält?

[1]: Ich schreibe ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit und spreche hier nicht "vom Menschen an sich". Ich beschreibe nur, wie es mir geht und das, was ich aus Gesprächen mit Freunden zu diesem Thema herausgehört habe.

Deutschunterricht

Ich bin dafür, dass man eine Sache in den Lehrplan des Deutschunterrichtes aufnimmt.
Und zwar dass man ab der 1. bis zu 12. (oder 13.) Klasse in jeder Stunde den Schülern diesen Satz um die Ohren haut: "Der Erzähler, der Protagonist oder das lyrische Ich ist nicht mit dem Autor identisch!" (in den jüngeren Klassen selbstverständlich an das Sprachniveau angepasst).

Absichtserklärung oder freiwillige Selbstverpflichtung

Was sich dramatisch anhört, ist eigentlich ganz banal.

Draußen regnet es. Heftig. Dementsprechend  kann ich weder Fahrrad fahren, noch querfeldein rennen gehen. Und auch das Verlangen, bei solchem Wetter in der Stadt spazieren zu gehen, hält sich sehr in Grenzen. Also sitze ich am Rechner.
Halte aber weiterhin an meiner Absicht, während ich in Russland bin, nicht über Russland zu bloggen fest. Möchte aber die Gelegenheit nutzen, um in einer kurzen Liste festzuhalten, worüber ich alles schreiben möchte, wenn ich wieder daheim in Heidelberg bin.

Die hat gleich drei Vorteile: erstens, vergesse ich so gute Ideen für schriftliche Betrachtungen nicht; zweiten, habe ich durch die "öffentliche" Ankündigung einen selbstdisziplinierenden Effekt und kann meine Schreibpläne aufgrund von Faulheit nicht dann doch verwerfen; drittens, kann ich vielleicht so etwas Spannung und Neugier bei meiner Leserschaft streuen.

Also, ich habe vor, im Zeitraum zwischen dem 28.08. und dem 02.09. zu schreiben über:
  • ein paar Überlegungen zur russischen Politik (Stichworte: Opposition und Westen, Platten für die Bürgersteige, wieso Pussy Riot eine Ausnahme darstellen)
  • russischer Patriotismus (und wieso er mE das Gegenteil von russischem Nationalismus ist, Bezüge zum 19. Jh)
  • Natur (und wieso Umweltschutz sie manchmal auch hässlicher macht)
  • das Phänomen КИНО
  • Stadtleben (und wieso Heidelberg für mich keine Stadt ist)

Mittwoch, 15. August 2012

Bloggen aus Russland

Da fährt man nach Russland.
Und denkt sich:
a) dass man da ja ganz viele spannende Sachen erleben und faszinierende Erkenntnisse (da endlich mit dem notwendigen Abstand vom Alltag versehen) haben wird und dass man darüber ja wunderbare lange Blog-Posts schreiben und die Leser erfreuen kann
und
b) dass man ja nicht so lange da ist (2,5 Wochen) und man deshalb in dieser Zeit auch möglichst viel unternehmen soll, da man auch daheim in Heidelberg auf dem Sofa sitzen kann.

Das Doofe ist: ein konsequentes Ausführen von b) macht einen zu müde, um a) nachzukommen. Ein Ausbleiben von b) erfüllt einen wiederum mit so viel Frust, dass man gar nicht weiß, worüber man bloggen soll.

Dabei hätte ich - als "Betroffene" - sehr viel über Russland zu erzählen. Und wie es sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Und wo die kleinen, aber feinen Unterschiede zu Deutschland liegen.
Aber - aktuell zu müde, zu viele Eindrücke, zu viele Widersprüchlichkeiten im Kopf.

Ich mache etwas radikal Subversives. Ich packe den Rechner weg und hole eine russische Sci-Fi-Literaturzeitschrift (ja, so etwas gibt es) raus und lese sie.
So long, suckers!

(Und werde dann nach Ende des Aufenthaltes hier versuchen, einige Impressionen in halbwegs hübsche Worte zu packen und hier einsehbar zu machen.)

Sonntag, 5. August 2012

Home, sweet home

Zwischen zwei Nachtdiensten daheim sein, führt zu seltsamen Erkenntnissen.

Home is:
wo es nicht nach Sondenkost stinkt
wo man nicht jeden hereinkommenden nach Allergien, Medikamenten und Vorerkrankungen fragen mus
wo es nicht das Bimmeln der Klingel, sondern das Blinken des ICQ-Fensters ist, das einem Aufmerksamkeit abverlangt
wo der Kühlschrank zwar nicht vor Eis, Vanille-Pudding und kleinen Marmelade-Döschen überquillt, dafür aber auch noch andere Lebensmittel enthält
wo das Kochen von Kaffee nicht zwingend großindustrielle Maßstäbe einnimmt

to be continued

Freitag, 3. August 2012

Kontext

Um den intendierten Sinn einer Aussage zu verstehen, sollte man sie in ihrem Kontext betrachten.
Natürlich kann man eine Aussage ihrem Kontext entreißen und ihr dadurch einen einen gänzlich neuen Sinn geben. Das steht jedem und bei jeder Aussage frei. Aber dann sollte man nicht diesen neuen Sinn, den man der herausgerissenen und isolierten Aussage durch seine Interpretation zuschreibt, dem Urheber in den Mund legen. Denn dieser hat die Aussage ja nicht ohne Grund in einen Kontext eingebettet.

Verdeutlichen wir dies an einem bewusst sehr simplen Beispiel.
Ich sage: "Alle Menschen, die behaupten, dass Hitler ein tolles Staatsoberhaupt gewesen wäre, haben sich nicht ausreichend mit der Geschichte des 3. Reiches befasst."
Würde man jetzt einen Bruchteil dieser Aussage dem Kontext entreißen, könnte man mir ein "Hitler war ein tolles Staatsoberhaupt" in den Mund legen. Dabei habe ich das genaue Gegenteil davon behauptet.

Und dieses Prinzip lässt sich auch auf dezentere Uminterpretationen bei fehlender Berücksichtigung des Kontextes anwenden.
Mal im Ernst, gerade in Bereichen wie der Politik, Philosophie und Soziologie lassen sich so große Missverständnisse vermeiden.

Sexismus

Manchmal wundert mich meine Einstellung, nein, viel mehr meine Wahrnehmung von Sexismus.
Als Welde Werbung mit einer nackten, in einer lasziven Pose verdrehten Frau (die mit ihren Kurven wohl an die Gestaltung der daneben abgebildeten Flasche erinnern sollte) machte¹, fand ich das gewissermaßen in Ordnung und habe mich nicht daran gestört.
Als Welde jetzt im Rahmen einer Werbeaktion, extra rosa Bierkästen, die sich auch "als Handtasche" tragen lasen, für Frauen herstellt², war und bin ich empört und habe beschlossen, Welde zu boykottieren (auch wenn mir das Bier schmeckt).

Die Darstellung einer Frau als Sex- oder zumindest Lustobjekt finde ich also (unterschwellig) akzeptabel, das Festigen von Genderklischees löst in mir Wut aus. Dabei ist doch beides (weibliche Nacktheit in Werbung und "Frauen mögen rosa. Und Handtaschen. Und Schuhe"-Sprüche und -Denke) in unserer Gesellschaft gleich verbreitet. Und beides wird in feministischen Kreisen gleichermaßen angegriffen.
Wieso also dieser Unterschied in meiner Auffassung?
Strange.
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Quellen:
[1]: http://www.welde.de/werbemittel/screensaver/weldeWallpaper_D_1280.jpg
[2]: http://www.morgenweb.de/region/schwetzinger-zeitung-hockenheimer-tageszeitung/plankstadt/was-frauen-wollen-und-manner-mogen-1.666384