Dienstag, 4. Februar 2014

"Inländer-Rassimus"

Vor einigen Monaten tobte durch Twitter (mal wieder) eine Diskussion über "Inländer-Rassismus", ausgelöst durch einen Tweet darüber, dass es auch in den türkischen Gemeinden in Deutschland rassistische Vorurteile und/oder Ressentiments gegenüber Deutschen gibt.
Ich habe diese Diskussion erst nicht mitbekommen und dann, als ein guter Freund mich darauf aufmerksam machte, war mein erster Impuls, diese Diskussion gleich abzublocken. Aber aus der Diskussion mit besagtem Freund über dieses Thema entstand die Idee für einen Blogpost.

tl;dr - Ja, es gibt in Deutschland auch Menschen mit Migrationshintergund, die gegenüber "Deutschen" (was auch immer unter diese Definition fallen mag) Vorurteile und/oder Ressentiments hegen. Aber sich darauf zu beziehen ist in einem (größtenteils deutschen) Diskursrahmen eine Art von Derailing, die das Augenmerk von den tatsächlichen Problemen mit Rassimus weglenkt.

Also, im Gespräch mit besagtem Freund, der selbst einen Migrationshintergrund hat und in diesem Kontext Äußerungen von anderen russischstämmigen Menschen in Bezug auf "Deutsche" zitiert hat, musste ich recht schnell erkennen, dass es dieses Phänomen durchaus gibt. Um es nochmal zusammenzufassen: ja, es gibt in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund, die sich auch mal abfällig über "die Deutschen als solche" äußern und die zum Teil auch sich deshalb diesen gegenüber auch argwöhnisch verhalten.

Dennoch ist dies kein Grund, dies mit Fremdenfeindlichkeit (im Sinne von "Deutsche, die Ressentiments gegenüber Mensche mit Migrationshintergrund hegen") gleichzusetzen.
Denn:
a) "wie es in den Wald ruft, so schallt es heraus". Eigentlich selbsterklärend - wenn eins als Mensch mit Migrationshintergrund tagtäglich in Deutschland auf Rassismus seitens der Behörden oder Medien oder Gruppierungen oder Einzelpersonen stößt, dann kann ich es bestens verstehen, wenn eins dann nicht mehr so gut auf deutsche Staatsbürger zu sprechen ist;

b) wenn Menschen mit Migrationshintergrund Diskriminierung erfahren, so hat es oft auch einen institutionalisierten Aspekt. Mit anderen Worten, es sind nicht nur Einzelpersonen, die rassistische Äußerungen bringen und/oder sich rassistisch verhalten, sondern auch Behörden. Zum Beispiel: wieso fragen Standesamte im Geburtsurkunden-Formular ab, ob ein Elternteil des anzumeldenden Kindes "deutsch per Geburt" oder "deutsch per Einbürgerung ist"?
Das hat eine ganz andere Qualität, als wenn die Diskriminierung "nur" von Privatpersonen ausgeht und prägt eine gewisse Reaktanz (siehe Punkt a) und Punkt d) für die Folgen/Implikationen dessen) und lässt das Problem auch gleich in einer ganz anderen Liga spielen;

c) die Frage, die sich eins stellen muss, ist: welche Folgen haben dann solche rassistischen Ressentiments? Und da muss eins ganz klar feststellen (um mal eine Quelle zu nennen:Bundeskriminalstatistik 2011), dass es deutlich-deutlich-deutlichst mehr Körperverletzungen/Morde/sonstige Verbrechen von Deutschen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund gibt, als andersherum (siehe Causa NSU, siehe Rostock-Lichternhagen);

d) es gibt eben medial/im Alltagsleben/in der poltischen Repräsentierung ein klares Ungleichgewicht von Präsenz und Mehrheitsverhätnissen der beiden Gruppen. Dementsprechend werden die Ressentiments der majority-Gruppe sehr viel schneller relevant, nahezu immer zum Nachteil von minority-Gruppen.


Ja, sobald ein ausreichend großes Sozium betrachtet wird, finden sich darin stets einige Rassisten (aka "Menschen, die Vorurteile/Ressentiments gegenüber Menschen einer anderen Ethnie/Hautfarbe/kulturellen Prägung/usw. hegen"). [Ja, selbst in "linken" Gruppierungen, auch wenn "Antirassimus" ja eigentlich ein Kernthema von linken Bewegungen ("als solchen") sein sollte.] Aber dies festzustellen ist so ähnlich wie zu sagen, dass sich in jedem halbwegs großen Sozium stets Arschlöcher finden lassen.

Die Frage, die diskursrelevant ist, ist die, welche Folgen und somit auch welchen Handlungsbedarf dies jeweils mit sich bringt. Und da sehe ich es als eindeutig an, dass wir in Deutschland viel-viel deutlicher ein Problem mit Rassismus von Deutschen gegenüber von Menschen mit Migrationshintergrund haben als andersherum. Dementsprechend ist es für mich auch mit Abstand relevanter sich auf diesen als Problem zu fokussieren.
Und die Feststellung von "Ja, auch unter Türken gibt es rassistische Meinungen in Bezug auf Deutsche" ist in meinen Augen ein Gemeinplatz (denn siehe den Punkt mit "in jeder (ausreichend großen) Gruppe gibt es einige Arschlöcher"), der insofern gefährlich ist, dass er
a) die Aufmerksamkeit von eigentlichen Problem ablenkt;

b) eine Art perfides victim blaming betreibt.

P.S. Auf die Bitte von "besagtem Freund" hin, möchte ich an dieser Stelle auch auf die Parallelen zum Sexismus-Diskurs hinweisen.
Denn was die ganzen "what about the men"-Argumente angeht: ja, auch ich sehe ein, dass Männer, die nicht dem gesellschaftlichen Männlichkeitsideal entsprechen, durchaus doofe Sprüche/Mobbing/Diskriminierung zu erleiden haben, und dass es auch durchaus Männer gibt, die Opfer von sexuellen Belästigungen oder sexuellem Missbrauch geworden sind.
Allerdings - gesellschaftlich (und eben nicht auf den Einzelfall bezogen) betrachtet - spielen sowohl rape culture als auch sexistische Diskriminierung im Beruf/Alltag in Bezug auf Frauen eine deutlich größere Rolle.
Dementsprechend finde ich es auch eine Art von Derailing und Ablenkung-vom-"eigentlichen Problem"-Taktik, z.B. in der #aufschrei-Debatte mit "aber Männer werden doch auch diskriminiert"-Argumenten anzukommen

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