tl;dr: Wenn eins im Krankenhaus arbeitet, bekommt eins viele heftige Sachen mit. Und zwar immer versehen mit einem Namen, einem Gesicht und oft auch einer Geschichte. Und diese nehmen eins mit. Und trotzdem kann eins parallel dazu lachen und dem ganz normalen Alltagskram nachgehen. Und ja, eins fühlt sich zynisch dabei. Aber diesen Zynismus nimmt eins irgendwie in Kauf, um nicht zusammenzubrechen.
[TW: realistische Darstellung der Arbeit in der Pflege und körperlicher und geistiger Gebrechlichkeit; viel Zynismus]
Es ist 2:20. Nacht.
Ich sitze da und überlege, ob ich es schaffe, mir rechtzeitig den Stoff fürs Examen in den Schädel zu prügeln. Und wann es am besten passen würde, mit M. in den neuen Lars von Trier Film zu gehen. Und ob T. da auch mitkommen möchte.
Lautes Piepen, eine Frequenz auf die meine Geräuschverarbeitung schon abgerichtet ist und die mich dementsprechend nicht stillsitzen lässt.
Zimmer 61.
Der alte Mann hat Schmerzen. Kann vor Schmerzen kaum sprechen. Mit einem pflaumengroßen Tumor im Hals wenig verwunderlich. Vor dem Tumor konnte er wohl aber auch nicht besonders viel sprechen. Mittelgradige Demenz. Ich sage tröstend, dass er natürlich etwas gegen die Schmerzen haben kann und dass ich ihm was bringen kann. Beruhige ihn, dass er kein schlechtes Gewissen haben muss, dass er geklingelt sind. "Dafür sind wir ja da." Lächeln. Schulter tätscheln.
Ins Stationszimmer zurückkommen. "Die 61 hat Schmerzen, was kann ich dem denn geben? Ja, der am Fenster." Tropfen abzählen, mit Becher zurück ins Zimmer. Strohhalm in den Becher, Kopfteil hochfahren - Patient hat Schluckstörungen und soll sich nicht verschlucken. Halte ihm den Becher hin, führe den Strohhalm in den Mund. Er umschließt den Strohhalm mit den Lippen und wartet. "Sie müssen ziehen, Herr S." Er öffnet die Lippen leicht und atmet ein und aus. "Nein, nein, Herr S., TRINKEN. Schauen Sie, Lippen um den Strohhalm und SCHLUCKEN." Ich turne es ihm als Trockenübung vor. Nach 5 Minuten schafft er es, die Tropfen zu nehmen, weil er sich langsam wieder daran erinnert hat, wie mit einem Strohhalm trinken geht.
Zurück im Stationszimmer. Kollegen tratschen über eine andere Kollegin. "...und dann sage ich ihr, ist doch scheißegal, wie dein Handrücken aussieht". Ich schreibe SMS mit C., freue mich, dass er mal endlich mit seiner Freundin über ihre Beziehung geredet hat. Kollegen tratschen über Ärzte, die nackt in die Sauna gehen.
Ich will gar nicht wissen, was sie hinter meinem Rücken über mich quatschen. Und frage mich das doch.
Klingel. Zimmer 55.
Herr B. hat sich sein Flügelhemd ausgezogen und steht mit Netz(unter)hose schwankend im Zimmer. Sucht im Nachttisch seines Nachbars nach seiner Jacke, weil er ja heim muss. Geklingelt hat der Nachbar.
Ich führe Herr B. zurück in sein Bett. Ich kann jede seiner einzelnen Rippen und seiner Wirbel sehen. Seine Haut ist graugelb. Er schaut mich mit glasig-verwirrten Augen an. Jahrelange Alkoholabhängigkeit ist bekannt. Jetzt kann er durch Schluckstörungen nicht trinken. Dementsprechend: Entzug und deshalb auch die Verwirrung. Ich helfe ihm, sich wieder ins Bett zu legen. "Aber sie stehen bitte nicht wieder alleine auf, ja? Wenn sie etwas brauchen, dann klingeln sie doch." Er versichert mir, dass es ihm doch völlig gut gehe, während ich seine Bein ins Bett hebe.
Stationszimmer. Scrolle mich durch Twitter, lache über er ein paar witzige Comics, schmunzel über Katzenbilder. Rege mich massiv über ein in Kansas neu verabschiedetes Gesetz, das die Diskriminierung von Homosexuellen offiziell genehmigt, auf.
Denke darüber nach, was ich auf meinen mp3-Player laden möchte. Hätte jetzt Bock auf ein Feierabend-Bier. Bis Feierabend ist noch sehr lange. Schreibe über Twitter mit Menschen, viel Zwinkern und Witzeln.
Klingel. Zimmer 41.
Herr M. meldet, dass er sich eingenässt hat. Er kam am Morgen völlig apathisch und gänzlich ausgetrocknet aus einem Pflegeheim. Jetzt haben wir ihn wieder aufgewässert. Dadurch ist er wieder klar genug, um zusammenhängend zu reden, und stark genug, um die Decke zur Seite zu schlagen. Dadurch muss er aber auch 1-2/Stunde Wasser lassen. Hole die Kollegin dazu und wir wechseln ihm zu zweit die Windel. Loben ihn dafür, dass er sich auch gleich nach dem Einnässen gemeldet hat. Diskutieren kurz über den Grand der Wundlegen-Wunde an seinem Steiß. Cremen die Stelle (ob nur I° oder II°) ein. Legen ihm ein Schaumstoffkissen unter den Steiß. Er lächelt glücklich und bedankt sich zufrieden. Ich kann nur die Hälfte von dem, was er sagt, verstehen, weil er keine Zähne hat und sein Gebiss gerade auf seinem Nachttisch steht.
Stationszimmer. Ich checke meine Mails und überlege, wie lange sich welche Antwort prokrastinieren lässt. Kollegen reden über Neid und Egoismus in der Familie. Ich gebe in regelmäßigen Abständen zustimmende Brummgeräusche und wäge ab, ob und auf welche und wie viele Festivals ich dieses Jahr fahren kann/will. Ein Kollege fängt an, etwas von der "Unnatürlichkeit" von Homosexualität zu schwafeln. Mische mich ein und bringe ihn zumindest dazu zuzugeben, dass sein Argument sehr biologistisch ist, und Gewalt gegenüber Homosexuellen zu verurteilen. Gehe eine rauchen.
Klingel. Da ich übers Fenster auf den Balkon geklettert bin und meine Kippe noch brennt, geht meine Kollegin.
Ich muss über Menschen schmunzeln, die mich fragen, wie es denn so ist, im Krankenhaus zu arbeiten. Ob es eins nicht wahnsinnig mitnimmt. Wie eins das denn wegsteckt. Ich überlege mir diesen Blogpost zu schreiben.
Während ich diesen Post geschrieben habe, bin ich6 8 Mal auf die Klingel gegangen. Die Stories dazu spare ich mir jetzt.
Es ist 3:50. Ein ganz normaler Nachtdienst eben.
[Die Zuordnung von Zimmernummern, Nachnamen.Initialien und Patienten ist gänzlich ausgedacht. Die Tatsache, dass alle drei davon Männer sind, ist zufällig, da eben dies die drei Patienten waren, die mit diesen Anliegen geklingelt haben.]
[TW: realistische Darstellung der Arbeit in der Pflege und körperlicher und geistiger Gebrechlichkeit; viel Zynismus]
Es ist 2:20. Nacht.
Ich sitze da und überlege, ob ich es schaffe, mir rechtzeitig den Stoff fürs Examen in den Schädel zu prügeln. Und wann es am besten passen würde, mit M. in den neuen Lars von Trier Film zu gehen. Und ob T. da auch mitkommen möchte.
Lautes Piepen, eine Frequenz auf die meine Geräuschverarbeitung schon abgerichtet ist und die mich dementsprechend nicht stillsitzen lässt.
Zimmer 61.
Der alte Mann hat Schmerzen. Kann vor Schmerzen kaum sprechen. Mit einem pflaumengroßen Tumor im Hals wenig verwunderlich. Vor dem Tumor konnte er wohl aber auch nicht besonders viel sprechen. Mittelgradige Demenz. Ich sage tröstend, dass er natürlich etwas gegen die Schmerzen haben kann und dass ich ihm was bringen kann. Beruhige ihn, dass er kein schlechtes Gewissen haben muss, dass er geklingelt sind. "Dafür sind wir ja da." Lächeln. Schulter tätscheln.
Ins Stationszimmer zurückkommen. "Die 61 hat Schmerzen, was kann ich dem denn geben? Ja, der am Fenster." Tropfen abzählen, mit Becher zurück ins Zimmer. Strohhalm in den Becher, Kopfteil hochfahren - Patient hat Schluckstörungen und soll sich nicht verschlucken. Halte ihm den Becher hin, führe den Strohhalm in den Mund. Er umschließt den Strohhalm mit den Lippen und wartet. "Sie müssen ziehen, Herr S." Er öffnet die Lippen leicht und atmet ein und aus. "Nein, nein, Herr S., TRINKEN. Schauen Sie, Lippen um den Strohhalm und SCHLUCKEN." Ich turne es ihm als Trockenübung vor. Nach 5 Minuten schafft er es, die Tropfen zu nehmen, weil er sich langsam wieder daran erinnert hat, wie mit einem Strohhalm trinken geht.
Zurück im Stationszimmer. Kollegen tratschen über eine andere Kollegin. "...und dann sage ich ihr, ist doch scheißegal, wie dein Handrücken aussieht". Ich schreibe SMS mit C., freue mich, dass er mal endlich mit seiner Freundin über ihre Beziehung geredet hat. Kollegen tratschen über Ärzte, die nackt in die Sauna gehen.
Ich will gar nicht wissen, was sie hinter meinem Rücken über mich quatschen. Und frage mich das doch.
Klingel. Zimmer 55.
Herr B. hat sich sein Flügelhemd ausgezogen und steht mit Netz(unter)hose schwankend im Zimmer. Sucht im Nachttisch seines Nachbars nach seiner Jacke, weil er ja heim muss. Geklingelt hat der Nachbar.
Ich führe Herr B. zurück in sein Bett. Ich kann jede seiner einzelnen Rippen und seiner Wirbel sehen. Seine Haut ist graugelb. Er schaut mich mit glasig-verwirrten Augen an. Jahrelange Alkoholabhängigkeit ist bekannt. Jetzt kann er durch Schluckstörungen nicht trinken. Dementsprechend: Entzug und deshalb auch die Verwirrung. Ich helfe ihm, sich wieder ins Bett zu legen. "Aber sie stehen bitte nicht wieder alleine auf, ja? Wenn sie etwas brauchen, dann klingeln sie doch." Er versichert mir, dass es ihm doch völlig gut gehe, während ich seine Bein ins Bett hebe.
Stationszimmer. Scrolle mich durch Twitter, lache über er ein paar witzige Comics, schmunzel über Katzenbilder. Rege mich massiv über ein in Kansas neu verabschiedetes Gesetz, das die Diskriminierung von Homosexuellen offiziell genehmigt, auf.
Denke darüber nach, was ich auf meinen mp3-Player laden möchte. Hätte jetzt Bock auf ein Feierabend-Bier. Bis Feierabend ist noch sehr lange. Schreibe über Twitter mit Menschen, viel Zwinkern und Witzeln.
Klingel. Zimmer 41.
Herr M. meldet, dass er sich eingenässt hat. Er kam am Morgen völlig apathisch und gänzlich ausgetrocknet aus einem Pflegeheim. Jetzt haben wir ihn wieder aufgewässert. Dadurch ist er wieder klar genug, um zusammenhängend zu reden, und stark genug, um die Decke zur Seite zu schlagen. Dadurch muss er aber auch 1-2/Stunde Wasser lassen. Hole die Kollegin dazu und wir wechseln ihm zu zweit die Windel. Loben ihn dafür, dass er sich auch gleich nach dem Einnässen gemeldet hat. Diskutieren kurz über den Grand der Wundlegen-Wunde an seinem Steiß. Cremen die Stelle (ob nur I° oder II°) ein. Legen ihm ein Schaumstoffkissen unter den Steiß. Er lächelt glücklich und bedankt sich zufrieden. Ich kann nur die Hälfte von dem, was er sagt, verstehen, weil er keine Zähne hat und sein Gebiss gerade auf seinem Nachttisch steht.
Stationszimmer. Ich checke meine Mails und überlege, wie lange sich welche Antwort prokrastinieren lässt. Kollegen reden über Neid und Egoismus in der Familie. Ich gebe in regelmäßigen Abständen zustimmende Brummgeräusche und wäge ab, ob und auf welche und wie viele Festivals ich dieses Jahr fahren kann/will. Ein Kollege fängt an, etwas von der "Unnatürlichkeit" von Homosexualität zu schwafeln. Mische mich ein und bringe ihn zumindest dazu zuzugeben, dass sein Argument sehr biologistisch ist, und Gewalt gegenüber Homosexuellen zu verurteilen. Gehe eine rauchen.
Klingel. Da ich übers Fenster auf den Balkon geklettert bin und meine Kippe noch brennt, geht meine Kollegin.
Ich muss über Menschen schmunzeln, die mich fragen, wie es denn so ist, im Krankenhaus zu arbeiten. Ob es eins nicht wahnsinnig mitnimmt. Wie eins das denn wegsteckt. Ich überlege mir diesen Blogpost zu schreiben.
Während ich diesen Post geschrieben habe, bin ich
Es ist 3:50. Ein ganz normaler Nachtdienst eben.
[Die Zuordnung von Zimmernummern, Nachnamen.Initialien und Patienten ist gänzlich ausgedacht. Die Tatsache, dass alle drei davon Männer sind, ist zufällig, da eben dies die drei Patienten waren, die mit diesen Anliegen geklingelt haben.]
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