Mittwoch, 14. März 2012

Sitzwachengedanken (Teil 1: Form und Inhalt von Literatur)

Von meinem Nachtdienst am Montag (bei Nachtdiensten und Tagesangaben zählt übrigens immer der Tag, an dem man den Dienst antritt) gibt es nicht viel zu berrichten.Unspektakulärer, aber arbeitsreicher Dienst.

Gestern wurde ich jedoch als Sitzwache an eine andere Station verliehen. Dieser Patiente war bettflüchtig und brauchte auch eindeutig eine Sitzwache, was aber nichts daran änderte, dass ich viel Zeit zum Lesen und Denken hatte.
Zum einen habe ich ganz viel Tucholsky gelesen. Und war und bin immer noch begeistert. Einerseits wie aktuell die Texte aus den 1920ern immernoch sind, was sowohl für die Fähigkeit des Autors, das ewig Gültige von passageren Modeerscheinungen zu trennen, spricht, als auch unserer ach so modernen Zeit ein Armutszeugnis ausstellt. Andererseits fand ich in vielen Essays/Gedichten/Kurzprosa-Texten Gedanken wieder, die ich in der Form schon oft gehabt und in meinem Kopf herumgewälzt hatte, bisher aber nicht so klar, so treffend formulieren konnte. Und teilweise traf ich sogar gesamte Wortkonkartenationen wieder, die ich mal irgendwo benutzt hatte oder noch verwenden wollte - so zum Beispiel das Konzept der "Sehnsucht nach der Sehnsucht".

Ich musste insgesamt mein Bild von Tucholsky stark überdenken. Die Tatsache, dass seine Texte größtenteils satirischer Natur sind, hat mich bis dahin daran zweifeln lassen, ob er "nicht auch mal ernst sein kann". Beim Lesen wurde mir klar, dass das, was ein guter Satiriker macht, oft sogar viel mehr mit großen und komplexen Gefühlen und tiefen Überzeugungen - kurzum mit dem Ernst und Weltschmerz, den ich oft vermisse - zu tun hat, als das, was die vermeintlich "ernsten" Schriftsteller fabrizieren.
Denn ein Tucholsky (ich will nicht pauschalisierend von dem Satiriker als solchen sprechen) nimmt ein Thema, das ihn sehr stark berührt und das er für wichtig erachtet, oder aber ein Gefühl, das er intensiv empfindet, und beschreibt dieses dann auf "unernste", (selbst)ironische, verspielte Art und Weise.
Viele-viele (auch zu den Klassikern zählende) Schriftsteller tun das exakte Gegenteil, sie greifen einige Banalitäten aus dem Leben heraus und beschreiben diese mit möglichst viel Pathos und gewichtigen Worten.
Comedy dagegen nimmt meistens banale Themen und beschreibt diese auf flapsig-witzige Art und Weise.
Nun frage ich mich, ob es dazu auch ein exaktes Gegenstück gibt - also gewichtiges Thema und ernster Ton. Ganz ehrlich - ich zweifel daran. Kleinigkeiten kann man gut in blumig-majestätisch-verschnörkelte Worte packen, sie für groß und wichtig und gewaltig erachten. Versucht man dies aber bei tatsächlich bedeutsamen Gedanken, so zieht man sie durch all den unnötigen Pathos ins Lächerliche und damit Banales oder aber - man selbst und/oder der Leser bricht darunter zusammen.

NB: Dies soll keine literaturwissenschaftliche Analyse sein. Nur einige Gedanken, die meinem müden Laiengehirn entsprungen sind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen