Und weil ich es ja versprochen habe, mal wieder ein älterer Text:
Die letzten Weltbilder wurden von einem
resigniert-grimmigen Hausmeister, der so ähnlich aussah wie Super
Mario, abgeholt. Mit der Weisheit eines vom Leben Betrogenen ließ er
Eile und Hektik von sich abperlen. Aber gerade dadurch ging von ihm
ein einlullender Dunst von Vertrauenswürdigkeit aus. Ich warf noch
einen Blick in das leere Regal, wo von Religionen und Ideologien nur
noch dunkel glänzende Flächen auf der traurigen Staubschicht
übriggeblieben sind. In der anderen stumpfen Ecke stehen, nein,
stapeln sich unaufgefordert geschickte Pakete mit Gefühlen. Noch
habe ich Angst sie zu öffnen, habe ich doch selbst erst vor kurzem
meine sich windenden Gefühlsknäuel in ähnliche Kartons gepresst,
die Kisten schnell zugeklebt und noch lieblos Luftlöcher
hineingestanzt. Der Gedanke, dass auch sie jetzt bei ihrem
unfreiwilligen Empfänger unangerührt ruhen, füllt warm und zäh
wie Karamellsirup meinen Brustkorb.
Gestern gebar mein Briefkasten eine
schlichte, fast schon mehlig-ärmliche Karte. Sie überbrachte mir
gefasst die Nachricht vom Tod des Übermenschen und lud noch zu
dessen Beisetzung in einer Woche ein. Damit trat ein Paragraph meines
Mietvertrags in Kraft, den ich ob seiner Unwahrscheinlichkeit für
ein absurdes Bürokratiefallnetz gehalten hatte. Ich wohnte auf
einmal nicht mehr zur Untermiete, sondern war vollwertiger Mieter
meines Zimmers. An sich bloß ein unbedeutender Wandel meiner
Stellung, aber eröffnete er mir jetzt die Möglichkeit, die Wände
meiner Bleibe nach Belieben zu färben und verzieren. Bloß welche
Farbe? Und noch essentieller – was für ein Poster sollte ich
aufhängen? Ja, Poster, denn spätestens seit MTV wissen wir doch,
dass ein Leben ohne Heiligenbilder der neuen Märtyrer und
Schutzpatronen karg und haltlos ist.
Aber wer war mir Götze genug, als dass
ich mit seinem Antlitz stets im Blick leben wollte? Hatte ich erst
vor kurzem nicht selbst gesehen, wie sich der alternde Superstar
Liebe nach langer Schaffenspause wieder in den Blicken der Fans
sonnte, aufgedunsen und mit roten Äderchen überzogener Säufernase?
War es nicht ich, der erschrocken zurücktaumelte, als ich in einer
dunklen Gasse sah, wie der glänzend charismatische Medienmagnat Geld
ein kleines Kind vergewaltigte, während das gute Gewissen es
festhielt und ihm gut zuredete, während mit jedem Stoß immer
rauhere Schreie die kleine Kehle verließen? Und war nicht ich auch
Zeuge davon geworden, wie in der Menge der Gaffer, die sich letzte
Woche um den vom Hochhaus gesprungenen Selbstmörder, Arme und Beine
grotesk zu einem Hakenkreuz verdreht, die angehende Star-Literatin
Schönheit stand und voller Innbrunst lachte?
Ich führe ab heute Tagebuch auf meinen
Zimmerwänden. Nichts ist heilig. Nur das Wort.
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