Samstag, 9. Juni 2012

Psychopharmaka

Die Idee für diesen Blogpost trage ich schon eine Weile mit mir herum.
Und zwar möchte ich auf einige Aussagen eingehen, die man sehr häufig in Zusammenhang zu Psychopharmaka bzw. zur medikamentösen Therapie psychischer Krankheiten hört.
Und damit meine ich nicht das platte und unsensible "Boah, diese ganze Psychos sind doch eh alles nur Weicheier/Simulanten/Spinner"-Gehabe, das man von manchen Menschen hört.
Die Kommentare, die ich meine, kommen meistens von gebildeten und komplex strukturierten Menschen, die sich auch sonst durch Toleranz und Verständnis für Menschen mit psychiatrischen Diagnosen haben.

1. Ich lehne Psychopharmaka ab, sie dienen doch nur der Ruhigstellung von Menschen, deren Verhalten nicht der sozialen Norm entspricht.

Nein. Im ambulanten Setting und auf offenen Stationen wird niemand gezwungen, Psychopharmaka zu nehmen. Sprich: die Menschen nehmen sie freiwillig. Weil sie einen Leidensdruck haben. Oder etwas platter und direkter gesagt: weil es ihnen ohne die Medis echt beschissen geht.
Und bei weitem nicht alle Psychopharmaka wirken sedierend. Wenn sie sedierend wirken, dann ist es meistens höchstens eine unerwünschte Nebenwirkung. Und es gibt sogar Psychopharmaka, die eher aufputschend wirken: viele Antidepressiva zum Beispiel.

2. Wenn man nachhaltig etwas gegen eine psychische Krankheit tun möchte, sollte man eine Psychotherapie machen/seinen Lebensstil ändern. Psychopharmaka sind da nur eine Abkürzung für Faule oder Karrieregeile, die keine Zeit für eine anständige Therapie haben. Ist doch alles Gehirn-Doping der Leistungsgesellschaft.

Ich gebe euch insofern recht, dass eine Psychotherapie bei den meisten psychischen Krankheiten angebracht ist und den Menschen oft langfristig weiterhilft. Aber bei vielen Krankheiten ist die Einnahme von Psychopharmaka eine notwendige Voraussetzung, dass eine Psychotherapie überhaupt erst beginnen kann. Jemand in einer schweren Depression hat erstmal ohne Medis oft nicht den Antrieb, die Konzentrationsfähigkeit und die Kraft, die man für eine Psychotherapie (denn das ist wirklich Arbeit) braucht.
Und es gibt Krankheiten (Schizophrenie, bipolare Störung), die lassen sich nicht durch eine Psychotherapie heilen. Da müssen viele Betroffene ihr Leben lang Medis nehmen, wenn sie keine Schübe, die sie aus ihrem Berufs- und Familienalltag herauswerfen, haben wollen.

3. Ich kann ja verstehen, dass manch Psychopharmaka brauchen, mir hat der Arzt auch welche angeboten, aber ich habe so eine tolle Beziehung/einen tollen Freundeskreis/eine tolle Familie, die mich ganz doll unterstützt, ich brauche das nicht.

Freut mich aufrichtig für euch, dass ihr solche Unterstützung habt und sie euch ausreicht, um eure psychischen Probleme zu kompensieren. Die Tatsache, dass es bei euch so gut klappt, heißt aber nicht, dass Menschen, die Psychopharmaka nehmen (müssen), keine oder schlechte Freunde haben oder nicht ausreichend von ihren Partnern/Familien unterstützt werden. Bei manchen Störungen kann der tollste und liebevollste Partner nichts bewirken.

4. Ich finde es ja bewundernswert, dass Künstler, die psychisch krank sind, auf die bequeme Lösung, Psychopharmaka zu nehmen, verzichten und lieber den harten Weg gehen und sich so ihre Kreativität erhalten.

In der Tat, Kreativität ist überdurchschnittlich oft mit psychischen Störungen verbunden, am häufigsten die bipolare affektive Störung. Aber als jemand mit etwas Ahnung zum Thema der bipolaren Störung kann ich sagen: die tollste Kreativität der Welt nützt herzlich wenig, wenn der Mensch zu kraftlos und erschöpft ist, um einen Stift hochzuheben, oder so aufgedreht, dass er/sie/es vor lauter Projektideen nciht einmal fünf Minuten still sitzen kann.

5. Durch Psychopharmaka verändert man ja sein Wesen bzw. gibt seine eigentliche Persönlichkeit auf.

Das ist wirklich ein guter Einwand bzw. eine schwere Frage. In der Tat greifen Psychopharmaka in den Gehirnstoffwechsel ein und dieser bestimmt ja auch, was wir fühlen, denken und machen - und damit auch, wer wir sind. 
 Aber einerseits tun das nicht nur Psychopharmaka, das tun auch Alkohol, Zigaretten, andere Drogen. Das tut so ziemlich jedes (v.a. aber fettiges und süßes) Essen, das tut Sport, das tut Sonnenlicht. 
Und andererseits stellt sich die Frage, inwiefern sich der Mensch nicht schon bereits im Zuge der psychischen Krankheit in seiner Persönlichkeit verändert hat und die Medis diese Veränderung nicht eher noch rückgängig machen. Wer jemals mitbekommen hat, wie sich ein Mensch, der eine Depression entwickelt hat, verändern kann, weiß wovon ich rede. Aber da gebe ich euch teilweise recht: bei anderen Störungen ist es viel schwerer, zwischen der "eigentlichen" Persönlichkeit und der Krankheit zu trennen. Allerdings finden es ja die wenigsten kritisch, wenn ein sehr chaotischer Mensch einen Zeitmanagement-Kurs macht, um organisierter zu werden.

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