Mittwoch, 11. Juli 2012

Narben

Teil 1 
Manchmal finde ich das Verhalten von Menschen reichlich unreflektiert.

Ich habe einige parallele Narben unterschiedlichen Alters an meinem Schienbein (wie manche meiner Bekannten wissen).
Und was ich nicht verstehe, ist wieso Menschen auf offener Straße oder in der Straßenbahn es nicht lassen können, da demonstrativ hinzustarren (teilweise mit anschließendem Tuscheln), sobald ich eine kurze Hose oder einen kurzen Rock trage. Erstens ist es nicht besonders faszinierend - ein normales Schienbein mit ein paar Narben eben. Zweitens muss man kein Genie der Empathie sein, um sich zusammenzureimen, dass es unangenehm ist, von wildfremden Mensche angestarrt zu werden.

Teil 2
Und jetzt auf Meta-Ebene zu diesem Post.
Es ist krass, wie lange ich gebraucht habe und wieviel Mut ich zusammenkratzen musste, um dies zu schreiben.
Da predige ich lang und breit, dass eine Entstigmatisierung von Menschen mit psychischen Störungen erfolgen sollte, und setze mich dafür politisch und auch im Alltag ein. Aber selbst dazu zu stehen?
Nun ja, meine größte Angst in diesem Zusammenhang ist die, dass entweder meine Kollegen von der Pflege oder vom Institut, wo ich meine Doktorarbeit mache, oder meine zukünftigen ärztlichen Kollegen davon mitbekommen. Denn gerade im medizinischen und erst recht im psychiatrischen Bereich sind die Vorbehalte gegen psychisch Erkrankte in den eigenen Reihen am größten. Deswegen verschwindet jetzt auch mein Vorname aus dieser Blogbeschreibung.
Aber auch ansonsten ist die Angst groß, sich zu outen. Die Befürchtung des Vorwurfs des "attention whoring" oder des sich Mitleid-Erheischens. Die Befürchtung, ab dem Zeitpunkt von Freunden und Bekannten anders behandelt zu werden, als sei man eine Zeitbombe, nicht zurechnungsfähig oder hyperverletzlich. Die Befürchtung, dass man zum Objekt von Klatsch und Tratsch werden könnte.
Aber was soll's. Eine Kultur der Scham und des Verschweigens ändert man nicht, indem man sich ihr unterwirft.

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