Freitag, 13. Juli 2012

"Wie kann ich gerecht sein,

... wenn ich nicht rächen kann. [...] Denn den finsteren Onkel, der das Verbrechen begangen hat, gibt es nicht mehr."

Zeilen aus der Aufführung HAMLET von der Performance-Gruppe Rampig. Ich komme gerade von der Premiere und bin beeindruckt.
Das "frei nach W. Shakespeare" in der Stückbeschreibung hätte man auch durch "sehr-sehr frei" ersetzen können.
Und das ist gut so.

Die Inszenierung übernimmt nur winizige Bruchstücke der Original-Handlung, die dann aber auch nicht als Handlungselemente, sondern ikonographisch eingesetzt werden. Denn es gibt keine Handlung - es gibt nur Bilder, nur Fragmente, die sich in abwechselnder Synchronizität und Asynchronizität zu einem Eindrucksmosaik zusammenfügen, das einen an die Grenze der Reizüberflutung führt.
Passend dazu gibt es auch keine Handelnden. Die Rollen, sind alle mehrfach besetzt und binden die Darsteller nicht an durchgängige Verhaltensweisen und zwingen sie erst recht nicht zu Interaktion miteinander. Es handelt nicht der einzige, eher die Gesamtheit, noch zutreffender: die Handlung weht autonom durch den Raum und bewegt die Darsteller (wie in der Eröffnungsszene, wo alle  Darsteller an den Haaren von der Decke zu schweben scheinen und sich langsam, wie Halme im Wind, wiegen).

Wird aus Shakespeares "Hamlet" zitiert, so werden die Zeilen meist nicht von der Figur vorgetragen, die sie im Originalstück ausspricht, sondern von der, an die sie gerichtet wurden. Und das erscheint im Kontext der Inszenierung viel sinniger - denn entscheidend ist nicht der bilaterale Akt der Kommunikation, entscheidend ist das Erleben durch das Objektiv der Wahrnehmung einer einzelnen Person. Mehr als einmal fragt man sich, ob man nicht einfach nur einem solipsistischen Alptraum zusieht, ob es nicht nur eine Figur auf der Bühne gibt.

Die Themen der Performance ergeben sich allerdings direkt aus dem shakespearschen Original. Ganz groß die Frage nach der Entscheidung zwischen Aktivität und Passivität, nach richtigen und ausreichend gewichtigen Handlungsmotiven. Inhaltlich behandelt werden die Beziehung zu den Eltern, der Themenkomplex der Sexualität und des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern, die Frage des Wahnsinns, des Selbstmordes und des Aufbegehrens gegen die bestehende Ordnung.
Dies alles im Zeichen der Postmoderne - der Beliebigkeit, der Sinnlosigkeit, der quälenden transzendentalen Obdachlosigkeit. Man könnte auch von Postironie sprechen, mehrmals im Stück erwähnen Figuren, dass auch der Versuch, sich mit Ironie vom Geschehen abzuheben, auf Dauer nur misslingen kann. Denn nur weil man die Spielregeln erkannt hat und sie verlachen kann, kann man sich noch lange nicht ihnen entziehen.

Und gerade dieser Wunsch, sich den Spielregeln des Daseins, der physischen Existenz zu entziehen, schwingt im gesamten Stück mit und färbt es mit starkem Welt- und Selbstekel ein. Am stärksten richtet sich der Ekel dabei gegen die eigene Körperlichkeit - verstärkt durch die hautfarbenen Kostüme, verschärft durch das herumliegende rohe Fleisch, dass immer und immer wieder durch Fleischwölfe gepresst wird und Wurstwaren, die verschlungen werden.

Es wird nicht gelebt, es gibt höchstens ein fast schon widerwilliges Weiterleben, nicht weil man das Leben als sinnvoll begriffen hat, sondern weil man die Sinnlosigkeit des Selbstmords eingesehen hat.
Kein optimistisches Stück, aber dennoch eins voller Energie und ohne Defätismus. Auf jeden Fall sehenswert.

2 Kommentare:

  1. Liebe Leser, lieber Blogger x,

    wir, RAMPIG haben uns damals wirklich sehr über diese tolle, differenzierte und tiefgründige Kritik gefreut. Vielleicht ist es daher von Interesse, dass wir mit HAMLET zum Theatertreffen der Jugend nach Berlin eingeladen worden sind! Hier der Link zur Pressemitteilung der Berliner Festspiele: http://www.berlinerfestspiele.de/media/2013/bundeswettbewerbe_1/theatertreffen_der_jugend_4/download_12/ttj13_pm_2013_03_26.pdf

    Herzliche Grüße,
    RAMPIG
    www.rampig.de

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  2. Lieber unbekannter Blogger,

    wir möchten Dich gerne zu der exklusiven Preview unserer neuen Produktion "Das Schloss - Winterquartier" einladen. Bitte kontaktiere uns unter schloss@rampig.de, damit wir Dir die Einladung zuschicken können. Alternativ ist eine Anmeldung für die regulären Termine über www.schloss.rampig.de möglich.

    Herzliche Grüße, RAMPIG

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