Mittwoch, 15. Februar 2012

Ein paar Worte zur Fixierung

Immer wieder erscheint ein neuer Bericht mit erschreckenden Zahlen darüber, wie viele Patienten fixiert werden. Und eine Welle aus Empörung geht durch die Gesellschaft (oder auf jeden Fall durch die Kommentare des Artikels): "Wie kann man bloß?", "Unmenschlich", "Sadistische, faule Pfleger", "Zwangspsychiatrie".

Da ich gewissermaßen vom Fach bin, wollte ich mal meine Sicht der Dinge darlegen. Dabei möchte ich betonen, dass diesen Ausführungen keine Recherche der Fachliteratur zugrunde liegt, sondern lediglich meine Beobachtungen, sowie das, was ich von Kollegen und Kolleginnen aus der Pflege aufgeschnappt habe.


Ja, auch ich finde, dass auch heute noch erschreckend viele Patienten fixiert werden. Und auch ich finde, dass die Fixierung eine brutale und für den Patienten entwürdigende Maßnahme ist.

Wo wird fixiert?
Allerdings, um mal mit einem häufigen Vorurteil aufzuräumen: bei weitem nicht alle Fixationen finden in Psychiatrien statt. Mehr noch, ich habe noch nie auf einer psychiatrischen Station einen Patienten fixiert gesehen, wobei ich dabei einräumen muss, dass dies alles offene Stationen waren und es auf geschlossenen sicher ganz anders zugeht. Aber dies steht schon einmal fest: auf einer offenen psychiatrischen Station wird so gut wie gar nicht fixiert.
Wo Fixationsmaßnahmen jedoch fast täglich Anwendung finde, sind neurologische Stationen, sowie so gut wie alle Stationen, wo man viele Patienten in starken Verwirrungszuständen findet - sei es jetzt durchs Alter und Demenz oder durch eine ausgedehnte OP oder starke Krankheit bedingt.

Wie wird fixiert?
Die Königsdisziplin der Fixation, die Fünf-Punkt-Fixierung (Hände, Füße, Bauchgurt), findet nur sehr selten Anwendung, meistens nur bei sehr aggressiven Patienten und auch nur bis sie sich etwas beruhigt haben. Dies geschieht auch nicht mit Handschellen, Kabelbindern oder Seilen, sondern mit extra dafür angefertigten, gepolsterten Fesseln, die dann am Bettrand festgemacht werden. Oft werden die Hand- und Fußgurte auch noch mit Waschlappen nachgepolstert, man schaut also sehr darauf, dass sich keine Druckstellen bilden (Krankenschwestern sind der natürliche Feind der Druckstellen). Und meistens werden sowieso nur die Hände oder auch nur eine Hand fixiert, da dies auch oft genug schon den Zweck der Fixation ausreichend erfüllt.
Dies bringt uns auch schon zur nächsten Frage, nämlich:

Wer und wieso wird fixiert?
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Patienten zu betreuen, der nach einem Schlaganfall/eine OP am Gehirn/einem Sturz mit Knochenbrüchen nicht mehr sicher auf den Beinen stehen kann. Dieser Patient ist aber der absoluten Überzeugung, dass er sehr wohl sicher stehen kann und dass er sogar noch in der Lage ist zu gehen und beschließt nach Hause zu gehen. Und lässt sich aufgrund der Schlaganfall-/der OP-Folgen/seiner Demenz nicht dazu überreden, dass es doch besser wäre, würde er im Bett liegen bleiben. Wenn Sie eine 1:1-Betreuung haben, dann ist es kein Problem (auch wenn Sie dann auch die gesamte Schicht über nicht auf Toilette gehen dürften). Auf einer Wachstation hat man aber typischerweise ein 1:3- bis 1:4-Betreuungsverhältnis. Auf einer Normalstation im Nachtdienst kann es mal 1:20 sein. Klar, man kann sich eine studentische Sitzwache einbestellen (wenn man an einer Uniklinik ist). Und was ist, wenn man zwei solcher Patienten auf einer Station hat? Oder drei?
Also zurück zu unserem Patienten, der unbedingt aufstehen will, auch wenn er unweigerlich wegknicken wird. Was machen Sie mit ihm? Gehen Sie das Risiko ein, dass er beim Aufstehen, während Sie schnell mal bei einem anderen Patienten sind, stürzt, sich etwas bricht, eine Gehirnerschütterung holt? Geben Sie ihm Schlaf- und Beruhigungsmittel und nehmen diverse Nebenwirkungen (bis hin dazu, dass der Patient aufhört zu atmen) in Kauf?
Ok, nächstes Beispiel. Ein Patient nach einer ausgedehnten OP am Hals, mehreren Wochen auf Intensiv- und Wachstation und zudem noch im Alkoholentzug entwickelt ein Durchgangssyndrom. Die fachliche Defintion ist die eines "Psychosyndroms mit Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen". Realistisch sieht es dann so aus: der Patient versucht sich vom EKG-Kabel loszumachen, sich die Infusionsnadel zu ziehen, sich die Drainage, die in seiner OP-Naht einliegt und verhindert, dass sich dort Blut anstaut und die Atemwege komprimiert, herauszureißen, sich den Blasenkatheter gewaltsam herauszuziehen (sich dabei die Harnröhre verletzend). Dabei beschreibt er die wildesten Halluzinationen und wird gegenüber dem Pflegepersonal, das versucht ihn davon abzuhalten, sich zu verletzen, gewalttätig.
Natürlich könnte man auch sagen: dann soll man dem Mann doch einfach den Blasenkatheter entfernen, dann kann er sich nicht verletzen. Ok, dann pinkelt dieser Patient aber alle 20 Minuten ins Bett, denn in seinem Bewusstseinszustand kommt er nicht mehr auf die Idee in die Urinflasche zu pieseln. Wenn man noch 3-4 andere Patienten zu betreuen hat, kann man nicht alle 20 Minuten das Bett neu beziehen. Würden Sie dem Patienten zumuten die halbe Nacht im eigenen kalten Urin zu liegen? Gibt tolle wunde Stellen am Gesäß...

Wer fixiert?
Offiziell dürfen nur Ärzte oder eben Pflegekräfte auf explizite und dokumentierte ärztliche Anweisung fixieren. Offiziell sollte es auch zu jeder Fixation ein entsprechendes Protokoll geben, wo klar und nachvollziehbar der Fixationsgrund, die Art und Weise der Fixation und die Dauer hervorgehen, sowie auch festgehalten wird, dass man in bestimmten Zeitabständen auch nach dem Patienten geschaut hat. Alles andere erfüllt schon den Tatbestand der Freiheitsberaubung.
Und da sehe ich wirklich noch das größte Verbesserungspotenzial. Zu selten werden Fixationsprotokolle angelegt, viel zu oft werden Altenheimbewohner mit dem Bauchgurt festgebunden, ohne dass da ein Arzt auch nur mal draufgeschaut hätte. Und dann gibt es noch so Helden vom Dienst, wie der eine Arzt der Heidelberger Uniklinik, der nach seiner Unterschrift für das Fixationsprotokoll gebeten nur mit einem "Ach, ist mir doch egal, Fixation ist doch Pflegesache" antwortete.

5 Kommentare:

  1. Sorry, vielleicht solltest du wirklich Recherche betreiben, bevor du postest. Fixierung ohne richterlichen Beschluss ist und bleibt Freiheitsbreraubung.

    Die überwiegende Zahl der Fixierungen findet im KH oder in der Psych. statt Kuckst du geschlossene Station. Die Fixierung im KH darf auf Arztanordnung max. 24 Stunden erfolgen (Gefahr im Verzug). Daran hält sich im Krankenhaus bzw. in der Psych nicht wirklich jemand. In Pflegeheimen wird fast ausschließlich auf richterliche Anordnung fixiert. Du erinnerst dich: FREIHEITSENTZIEHENDE MASSNAHME darf nur der Richter entscheiden. Im Übrigen werden Pflegeheime so engmaschig überwacht, dass ich jedem Kollegen ans Herz legen möchte, doch das vorgeschrieben Procedere einzuhalten.
    Und ja, es gibt die Möglichkeit der chem. Fixierung (Beruhigungsmittel) übrigens auch richterlich genehmigungspflichtig. Ist aber für die Beteiligten angenehmer.

    Also bitte: Bevor du postest, einfach mal schlau machen.

    Gewissermassen bin oich da auch Fachmann.
    Gruß Joejoe

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich sagte: meine Beobachtungen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Mir ging es nicht darum die theoretischen Grundlagen darzulegen, sondern zu zeigen, wie die Realität im KH aussieht.
      Tut mir leid, wenn du dir auf den Schlips getreten fühltest.

      Für Beruhigungsmittel braucht man aber keinen richterlicher Beschluss. Die kann der Arzt verordnen. Mehr oder minder so viel er will. Ist so.
      Und über die Angenehmheit von Haldol, Tavor, Catapressan und co. kann mans ich streiten. ich würde sie nicht als per se angenehmer bezeichnen. Wirklich nicht.

      Und ich habe bisher im KH noch keinen einzige Patienten mitbekommen, der länger als 24 Stunden am Stück fixiert war. Dementsprechend fiel das in den Rahmen dessen, was ein Arzt anordnen darf.

      Löschen
  2. Sorry, ich fürchte ohne grundsätzliche Überlegungen geht es nicht. Die Realität, die ich im Krankenhaus wahrgenommen habe, ist die, dass Fixierungen zwar "nur" max. 24 Stunden aufrecht erhalten wurden, dann aber nach einigen Stunden wieder angeordnet wurden. De facto lief es so, dass verwirrte Patienten jede Nacht fixiert wurden. Damit unterläuft man kassischerweise richterliche Befugnisse. Falls du als Stationsarzt davon nichts mitbekommst, bedeutet das nicht, dass das nicht gemacht wird.

    Chemische Fixierungen sind freiheitsentziehende Massnahmen und damit selbstverständlich richterlich genehmigungspflichtig. Die Schwierigkeit ist hier nur, wo hört medizinische Notwendigkeit auf und wo fängt Fixierung an. Ja, der Arzt verordnet. Der Richter muss aber genehmigen.

    Das ist die Realität, die ich aus 15 Jahren Berufstätigkeit im Gesundheitwesen im Raum HD kenne, erlebte und auch durchführen musste.

    Wenn du einerseits in Twitter schreibst, du hast kein Problem damit Leute zu fixieren, rate ich dringend dazu, dich umfassend mit den rechtlichen Voraussetzungen vertraut zu machen.

    Wenn du in deinem Post schreibst, du seist vom Fach, hast aber nicht in Fachbüchern recherchiert, widersprichst du dir. Bitte, bevor du dir eine Meinung zu solch weit reichenden Eingriffen in die persönliche Freiheit anderer Menschen bildest, schau über den Tellerrand und beschäftige dich auch mit dem juristischen Problem.

    Und bevor du Mutmaßungen über Zustände in Pflegeheimen anstellst, lade ich dich herzlich ein, eines zu besichtigen. Einfach DM über Twitter. Ich wage zu behaupten, die Pflege geht mit dem Thema Fixierungen professioneller um, als viele Krankenhäuser.

    So Long JoeJoe

    AntwortenLöschen
  3. Ich sage nicht, dass ich kein Problem damit habe, Patienten zu fixieren. Ich sage auch nicht, dass ich nicht finde, dass es ein ernster Eingriff in die Freiheit von Menschen ist.
    Und ja, mit den juristischen Grundlagen muss ich mich noch außeinandersetzen.

    Aber darum ging es mir in meinem Post schlichtweg und ergreifend nicht.
    Ich wollte eben nur für die Problematik sensibilisieren und zwar von der Pflege-Seite aus. Zeigen, dass es bestimmte Situationen gibt, wo es quasi notwendig ist Patienten zu fixieren.Situation
    Oder wie würdest du sonst in den von mir beschriebenen hypothetischen Fällen verfahren?

    AntwortenLöschen
  4. Hm...

    Ich mische eigentlich ungern als aufmerksamer Leser ein, sondern genieße lieber passiv, aber ich glaube diesmal sollte ich mich durchaus einbringen.

    Nicht wegen der Inhalte in der Tat, sondern mehr als jemand, der im journalistischen Bereich schon vorher gearbeitet hat.
    Ich denke hierbei gilt es nunmehr die Textform zu unterscheiden, um das ganze mal etwas zu entwirren.

    Es handelt sich offensichtlich hier um eine Glosse, wonach es sich, besonders da es ja offensichtlich erwähnt wurde, dass es sich nicht um einen informativen Text handelt, sondern um einen rein subjektiven Text über Beobachtungen. Dies steht auch explizit im Text: "Dabei möchte ich betonen, dass diesen Ausführungen keine Recherche der Fachliteratur zugrunde liegt, sondern lediglich meine Beobachtungen, sowie das, was ich von Kollegen und Kolleginnen aus der Pflege aufgeschnappt habe."

    Demnach ist die Diskussion über den Informationsgehalt eher müßig - und auch durchaus hinfällig.

    Ebenso ist die Frage auch hinfällig, ob eine Pflegeeinrichtung besichtigt wurde oder nur Krankenhäuser - Diese Frage stellt sich doch gar nicht, da ein Kommentar in Glossenform eine Ansicht zur Schau stellt und natürlich darf man dazu seine Meinung äußern, aber man sollte sich schon bewusst sein, um welche Art des Textes es sich in der Tat handelt.

    Wäre dies ein Gedicht über dasselbe Thema, so würde dieser fitkive Anspruch auf einen Informationsgehalt mit weisender Funktion auch nicht gestellt werden.

    Demnach finde ich dieses vermehrte Angehen aufgrund einer Erwartungshaltung an einen Text der anders ausgelegt ist doch etwas fraglich.

    In diesem Sinne,
    NC

    AntwortenLöschen