Dienstag, 7. Februar 2012

Neues aus der Anstalt... ähm, Methadonambulanz

Ich war heute mal wieder in der Suchtklinik in Mannheim. Diesmal aber nicht, um Methadon zu verteilen, sondern um Patientendaten anonymisiert für eine Publikation aufzubereiten. Langweilige, zähe, zeitaufwendige und anspruchslose Tätigkeit: mit anderen Worten HiWi-/Doktoranden-Arbeit.

Wobei ich meine gesamte Tagesportion Optimismus dafür genutzt habe, auch diesen Tag nicht als vergeudete Lebenszeit zu betrachten.

Einerseits habe ich mir eben die Lebensläufe unserer Patienten (und es sind mehr als Hundert) mal genauer angeschaut, im Ambulanzalltag bleibt einem selten Zeit für sowas. Und konnte feststellen, dass es wirklich stets die Schwächsten sind, die Heroin-abhängig werden. Entweder die sozial Schwächsten - also Menschen, die ihre Kindheit damit verbracht haben, zwischen dem von Armut und Alkohol (und oft genug auch Gewalt) geprägten Elternhaus und Heimen, wo sie dann auch mit 13 oder 14 das erste Mal Heroin konsumierten, hin- und herzupendeln - oder die psychisch Schwächsten - Menschen, deren Leben (das davor oft genug "normal" verlief, also mit Freunden und guten Noten und Ausbildung/Studium/Beruf) durch das Einsetzen einer psychischen Krankheit komplett aus der Bahn geworfen wurde und die dann Heroin nahmen, um vor ihren Wahnvorstellungen oder Ängsten zu flüchten.
Irgendwie schon ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, wenn man sich überlegt wie viele derart gescheiterte Existenzen es allein in Mannheim gibt. Und die Leute machen es sich selbst natürlich nicht leicht, sind oft im Umgang schroff, egoistisch, unhöflich, es wird ihnen aber auch alles andere als leicht gemacht - habe auch schon so viele Erfahrungsberichte von Kündigungen und beendeten Freundschaften und Beziehungen gehört, nachdem sie dich als Patienten eines Methadonprogramms geoutet hatten.

Und das bringt mich auch zu meinem "andererseits": wenn man dann so dasitzt und sich seinen Weg durch diese Akten, durch diese Zahlen und Fachbegriffe gewordenen Schicksale liest (ich persönlich finde ja den Begriff "Anpassungsstörung" für "Trauerreaktion" ja schon sehr toll) und dann einem Henke mit Goethes Erben "Es gibt keine Lösung, keinen Ausweg, keinen Sinn" ins Ohr flüstert... Ich fasse die Essenz der Erfahrung mal großzüging mit "Gänsehaut" zusammen. Und nicht "ach so schön"-Gänsehaut. Eher "wer hat mir den Coolpack ums Herz gelegt?"-Gänsehaut.

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