Montag, 6. Februar 2012

Der müde Puppenspieler

Meine Hände sind inzwischen wund, rohes Fleisch schreit sich den Weg durch die Risse in meiner Haut. Ich war früher stolz auf meine weiße, weiche Haut, doch jetzt verfluche ich meine zarten Hände. Alles, was zart ist, steht irgendwann vor dem Ungeheuer der eigenen Schwäche und alles, was schwach ist, muss irgendwann sterben. Aber meine Hände dürfen noch nicht sterben, so sehr sie sich nach der säuerlich-kühlen Erlösung des Todes sehnen.

Ich bin Puppenspieler.

Die eine Hand hält ein krudes Holzkreuz, an dem fünf Marionettenfäden gespannt sind. In der anderen sind weitere Fäden, sodass meine Puppe nicht nur ihre Arme und Beine, sondern auch ihre Hüften und Schultern und ihren Mund und sogar ihre Finger bewegen kann. Nicht, dass es zu viele Fäden wären, um mit ihnen zurechtzukommen, sie waren schon immer da, um meine Fingerglieder und Handfläche geschlungen. Ich kenne sie und das, was sie mit dem schlacksigen Leib der Marionette anstellen, besser als meinen eigenen Körper. Aber das Gewicht der Puppe und das ständige Hin- und Herbewegen lassen sie sich immer tiefer in mein Fleisch hineinschneiden. Schon sind die losen Fäden mit meinem warmen Blut braun getränkt, schon ist das Holzkreuz glatt poliert, da alle Splitter bereits längst in meiner Haut stecken. Meine Arme sind müde und bleiern, doch ich darf sie nicht herabsinken lassen.

Die Puppe muss weitertanzen, weiterhin gehen, rennen, knicksen und sich verbeugen, einem unsichtbaren Feind mit der Faust drohen oder eine lange Nase machen. Auch mein Geist ist erschöpft, mir fallen keine neuen Kunststücke ein, die meine Marionette noch vorführen könnte. Doch das Publikum steht vor mir, alles leere Gesichter, bei denen nur der Hunger aus den Augen spricht. Sie werden nicht satt und sie gehen nicht weg, ich bin umzingelt von einer Wand aus ihrer Aufmerksamkeit. Ihr Schweigen verschließt mir jeden Fluchtweg. So stehe ich nackt und hilflos vor ihnen mit meiner zarten, weichen Haut und meiner dumpfen, zahmen Schwäche. Mein einziger Schutz ist diese hampelnde Holzfigur.

Wie ich sie hasse!

Ich hasse sie, weil ich sie beneide. Weil ich alles dafür geben würde, auch nur einen Moment an ihrer Stelle mit losen Gelenken und hölzernem Inneren an diesen Fäden zu hängen. Schwerelos von fremder Hand in immer neue Verrenkungen gezwungen werden, ist das Nächstbeste zum Körperlos-Sein. Gehalten von fremder Kraft, gelenkt vom Verstand eines Anderen, man könnte selbst nichts tun und dürfte doch alles, was man tut. Man könnte fallen und wissen, dass es den ersehnten Aufprall geben wird. Ich könnte den schweren Holzkopf heben und das Publikum ansehen.

Und ich dürfte stehen bleiben.

6 Kommentare:

  1. Puppenspieler und Puppe verschaffen sich gegenseitige Freiheit, in dem die Puppe handlungsfrei ist durch den Verweis der Fäden und der Spieler frei durch die bindende Kraft der spielenden und gespielten Puppe.
    Du negierst jedoch diese doppelte Freiheit in einer doppelte Gefangenschaft, in der die Puppe nur die Fäden sieht, in der vielmehr die Hand gebunden wird, bei der die erzwungene Bewegungen der Puppe nunmehr die Hand bestimmt, die Verantwortung der Puppenblicke diese in Bewegung hält.

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    1. Wer Freiheit und Gefangenschaft sagt, muss auch Camus und Sisyphos sagen. Und damit wird es auch etwas klarer. Denn wenn der Mensch es schafft, in der größten Unfreiheit die größtmögliche Freiheit zu finden, schafft er es noch mit größerer Leichtigkeit in der ultimativen Freiheit sich unfrei zu fühlen. Letzteres kennt man ja auch zugenüge aus dem Alltag und aus dem allgemeingesellschaftlichen Bild. Je mehr Handlungsoptionen, umso eingeschüchterter stehen wir da, umso fester klammern wir uns an selbst gesetzte Regeln, an selbst gezogene Grenzen.
      Just saying...

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  2. „Just saying“ Welch seltsame Marotte englischer Sprachkonvention. „Just saying“ soll es dazu dienen, dass das gesagte nicht derart viel Gewicht beigemessen wird? „Just saying“ nur daher gesagt, nur so gesagt, soll es die Sprache entwaffnen? Die Stäbe und Pfähle sind jedoch eingerammt, die Linien ausgewetzt, das Blei gezogen und das Feld geschwärzt. Ich sage nicht nur, ich sage, ich schreibe nicht nur, ich schreibe. Es ist ein trivialer Trick die große Tat, mögen auch die Gründe verschieden sein, durch dererlei Maskerade zu immunisieren und zu erheben. Offensiv in dem es, eine Tatsache provoziert, die als Allgemeinwissen dargestellt wird und gleichzeitig defensiv, indem es jegliche Worte darüber als unnötig abstempelt. Als überflüssige Reaktion auf eine Nichtigkeit.
    Ich sage nicht nur, ich sage also. Und bei Freiheit und Unfreiheit unweigerlich Camus Sisyphos zu verbinden ist eine Tat, die nun gut erscheint, doch ein muss? Es hätte nicht fast 3000 Jahre bedurft, wenn die Errettung der Sisyphosstrafen, die Überwindung der Unfreiheit hinein in die Freiheit derart offen und zwingend vorhanden gewesen wäre. Die „ultimative Freiheit“. Was ist die „ultimative Freiheit“? Du hast es selbst gesagt, Freiheit ergibt sich aus Regeln und Grenzen. Ein Mensch im Nichts, ohne Dimensionen, ohne Oben und Unten, ohne Links und Rechts, Vorne und Hinten, würde scheinbar eine nie gekannte Freiheit genießen. Doch erst, wenn er Dimensionen kennt, seine Beine fest auf dem Boden stehen müssen, er Regeln unterworfen ist, gewinnt er ein Mehr an Freiheit. Er kann den Blick zum Himmel wenden, kann zum Horizont marschieren, kann seine Freiheit leben. So geht es mit allen. Die Freiheit des Gemeinwesens basiert auf Einschränkungen der Freiheit des einzelnen. Und auch jeder schöpferische Akt wird durch Grenzen frei. Sag Menschen, das sie eine Geschichte erzählen sollen und sie werden dich hilflos anschauen. Nimm ihnen diese absolute Freiheit, in denen du ihnen fünf beliebige Wörter vorlegst, die in der Geschichte auftauchen müssen und sie werden beginnen, das Feld zu füllen. Du hast es selbst gesagt.
    Doch sprach ich von eben jener Freiheit oder Gefangenschaft des Haltes. Puppe und Puppenspieler können einandergekettet, sie können aber auch durch symbiotische Bande verbunden sein. Beides ist möglich und liegt an Puppe und Spieler.

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    1. Touché. "Just saying" ist der Notausgang aus der eigenen Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit. "Entwaffnung der Sprache" trifft es gut. Der Hinweis auf die Belanglosigkeit des gerade Gesagten als Flucht vor den Konsequenzen der eigenen Worte. Das aufgesetzte Grinsen oder Augenzwinkern, um nicht nackt und hilflos in der enthüllten Empfindsamkeit dazustehen.

      Natürlich ist Symbiose immer beides - Kerker und Weg in die Freiheit. Jede Symbiose ist auch eine weitere Grenze, die einem zusätzliche Freiheitsgrade gibt. Die wenigsten Menschen können ohne andere Artgenossen leben, egal wie sehr sie sich von ihnen gestört oder eingeschränkt fühlen. Denn nur durch die Existenz anderer Menschen um einen herum entsteht die Notwendigkeit (und die Möglichkeit) zu kommunizieren und damit auch die Sprache. Und selbige öffnet einem dann die Türen zum abstrakten Denken, zum Philosophieren, zum Verbalisieren von Gefühlen und damit auch dem detaillierteren Empfinden. Ohne andere Menschen wäre jeder gezwungen, sich jedes Konzept selbst zu erschließen, statt - zum Beispiel - einfach auf Camus Auslegung der Sisyphos-Sage zurückgreifen zu können. Aber andererseits sind auch andere Menschen und ihrer Erwartungen auch die größte Quelle der individuellen Unfreiheit in unserem Leben.

      Um einen Bekannten (um eine Ecke) zu zitieren: "Ich hasse die Menschen, weil ich sie liebe" (Carsten Striepe). Alleine das Erkennen der eigenen Abhängigkeit von seinem Symbionten lässt einen nach einer Freiheit lechzen, die man doch eigentlich gar nicht will. Der Hass auf etwas/alles, das einen durch die eigenen Emotionen gefangen nimmt und mit der Intensität dieser zu ersticken droht.

      Siehe auch meinen nächsten Post aus der Reihe "Schreiben"...

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  3. Nun kann ich dir nur zustimmen und mehr noch die Bekräftigen: "Die wenigsten Menschen können ohne andere Artgenossen leben, egal wie sehr sie sich von ihnen gestört oder eingeschränkt fühlen."
    Mehr noch, dies kann keiner. Selbt die Eremiten alter Tage lebten nicht in gänzlicher Isolation.

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  4. Das mit den Eremiten wusste ich nicht, ich hatte dann doch den einsamen Einsiedler, den Mensch gewordenen Waldschrat vor Augen, so wie das Wort dann meistens im modernen Sprachgebrauch verwendet wird.

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